Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 103
Im Recht der sozialen Vorsorge geht es um ein vorbestehendes und auf Vorsorge durch Beiträge angelegtes Sozialrechts- bzw. Sozialleistungsverhältnis. Viele der dortigen Geldleistungen haben Lohnersatzfunktion (§ 4 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 Nr. 4 SGB I). Dazu gehören:
Das Vierte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) beinhaltet allgemeine Regeln für die besonderen Bücher des SGB, die beitragsbezogen sind (Sozialversicherung – § 4 SGB I).
Rz. 104
Wegen der Beitragsbezogenheit des Rechts der sozialen Vorsorge ist das Leistungsverhältnis im Regelfall nicht vom Einsatz eigenen Einkommens oder Vermögens abhängig, jedenfalls aber nicht von Zuflüssen aus Erbfall oder Schenkung. Lediglich dann, wenn aus diesen Zuflüssen Einkommen i.S.v. § 18a SGB IV (z.B. Vermögenseinkommen nach § 18a Abs. 1 Nr. 3 SGB IV i.V.m. § 97 SGB VI) entsteht, kann es in der Folgezeit z.B. bei Hinterbliebenenrenten zu Anrechnungen kommen. Eine Vermögensanrechnung findet nicht statt.
Rz. 105
Die Leistungen aus der Sozialversicherung können für die Gestaltung bei Erbfall und Schenkung aber gleichwohl von erheblicher Bedeutung sein. Zum einen ist es nicht zwingend, dass die gewährten Leistungen den nötigen Lebensbedarf vollständig abdecken. Dann sind ggf. ergänzende subsidiäre Leistungen erforderlich, die dann ihrerseits im Hinblick auf Regressfragen Beachtung verlangen. Zum anderen ist es möglich, dass aus solchen Systemen die existenziellen Basisbedarfe des potenziell Begünstigten vollständig abgedeckt werden können, so dass z.B. Leistungen der Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt (SGB II, SGB XII) nicht oder nicht in vollem Umfang in Anspruch genommen werden müssen, so dass für die Gestaltung von Zuwendungen mehr Spielraum zur Verfügung steht, weil für die Restbedarfe, wie z.B. den Bedarf an Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (SGB IX), sehr viel großzügigere Anrechnungsvorschriften bzw. sehr viel weniger strikte Nachrangregeln gelten.
Rz. 106
Zur Orientierung nachfolgend ein kleiner Beispielskatalog:
Fallbeispiel 4: Die großzügige Mutter I
Mütter wollen ihrer Tochter T jeweils 50.000 EUR schenken, weil die anderen Kinder auch schon vergleichbare Zuwendungen erhalten haben. Auf Nachfrage schildern die Mütter die folgenden Sachverhalte:
Mutter 1: Meine Tochter ist schwerbehindert.
Mutter 2: Meine Tochter hat aufgrund von multipler Sklerose (MS) einen Pflegegrad. Sie ist pflegebedürftig und lebt in einer stationären Pflegeeinrichtung.
Mutter 3: Meine Tochter bezieht neben ihrer Erwerbsminderungsrente eine Unfallrente wegen einer Berufserkrankung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H./alternativ: Meine Tochter ist aufgrund eines Wegeunfalls pflegebedürftig und wird von einer angestellten Pflegekraft rund um die Uhr gepflegt und versorgt.
Mutter 4: Meine Tochter ist seit einem Jahr arbeitsunfähig und bezieht Krankengeld. alternativ: Meine Tochter ist seit 77 Wochen im Krankengeldbezug.
Mutter 5: Meine Tochter bezieht aktuell Arbeitslosengeld I (SGB III), meint aber, sie sei nicht mehr erwerbsfähig.
Mutter 6: Meine Tochter ist voll erwerbsgemindert auf Zeit (alternativ: voll erwerbsgemindert auf Dauer) und bezieht 1.200 EUR Erwerbsminderungsrente (SGB VI)
Mutter 7: Meine Tochter bezieht schon eine Altersrente, diese beträgt aber nur 400 EUR.
Mutter 8: Meine Tochter wurde behindert geboren und arbeitet jetzt schon seit 22 Jahren in einer Werkstätte für Menschen mit Behinderung, aber sie bekommt dort nur ein sehr kleines Entgelt.
Was sind die Fragen, die sich bei der Zuwendung in Bezug auf die sozialrechtlichen Leistungen stellen?
Rz. 107
Ergebnis Tochter 1:
Schwerbehinderung bedeutet einen Grad der Behinderung von mindestens 50. Schwerbehindertenfragen sind im Teil 3 des SGB IX geregelt. Nach Maßgabe von § 152 SGB IX können das Vorliegen einer Behinderung und der Grad der Behinderung auf Antrag festgestellt werden. Das begründet keinen Leistungsanspruch auf Geld, deshalb hat die Schwerbehinderung allein keine Auswirkungen auf den Zufluss von Zuwendungen aufgrund von Erbfall und Schenkung.
Behinderung deutet aber immer an, dass ggf. wegen der Folgen einer Behinderung andere Sozialleistungen wie z.B. Rente, Entschädigungsleistungen etc. (dazu nachfolgend) bezogen werden oder bezogen werden können. Es muss also in einem nächsten Schritt immer geprüft werden: Gibt es Leistungen aus anderen Systemen, die ganz oder teilweise bedarfsdeckend sind? Sind diese subsidiär, sind also ganz oder teilweise eigene Mittel vorrangig einzusetzen? Oder decken sie den Bedarf des behinderten Menschen ganz oder teilwe...