Rz. 89

 

Fallbeispiel 3: Die erwerbstätige behinderte Tochter und der Erbfall nach dem pensionierten Vater

Die 29-jährige Tochter T ist behindert. Sie hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 und lebt in einer Wohngemeinschaft, in der sie Assistenzleistungen der Eingliederungshilfe nach SGB IX erhält. Sie arbeitet an einem Arbeitsplatz, der ihrer maximalen Leistungsfähigkeit entspricht. Daraus erzielt sie Einkünfte in Höhe von 730 EUR monatlich netto.

Ihr Vater – ein pensionierter Beamter mit 2.800 EUR Ruhegehalt – verstirbt und es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die 50.000 EUR haben, die sie aus dem Nachlass ungeschützt erhalten wird.

 

Rz. 90

Im Beamtenrecht wird nach §§ 23, 61 Abs. 2 Nr. 2 BeamtVG behinderten Waisen Waisengeld gezahlt, wenn sie sich nicht selbst unterhalten können. Diese Differenzierung soll sich aus einer nachwirkenden Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinem Beamten ergeben, die in einer lebenslangen Alimentierung in Form des Waisengeldes ihren Ausdruck findet. Auch hier ist Voraussetzung, dass der behinderte Mensch sich nicht selbst unterhalten kann.

 

Rz. 91

Waisengeld wird über das 27. Lebensjahr hinaus gewährt, wenn die Behinderung vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetreten ist und die Waise ledig oder verwitwet ist oder ihr Ehegatte oder früherer Ehegatte ihr keinen ausreichenden Unterhalt leisten kann oder dem Grunde nach nicht unterhaltspflichtig ist und sie auch nicht unterhält.

 

Rz. 92

Das Waisengeld beträgt für Halbwaisen 12 % und für Vollwaisen 20 % des Ruhegehalts, das der Verstorbene erhalten hat oder hätte erhalten können, wenn er am Todestag in den Ruhestand getreten wäre (§§ 23, 24 BeamtVG).

 

Rz. 93

Ergebnis Fallbeispiel 3:

Je nach der Höhe des Ruhegehalts erhält die Tochter T 336 EUR Waisengeld. Zusammen mit dem eigenen Verdienst verfügt sie über 1.066 EUR monatlich. Kindergeld (siehe Rdn 85) wird wegen der Höhe der eigenen Einkünfte daneben nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Ihren existenziellen Grundsicherungsbedarf nach §§ 41 ff. SGB XII kann sie damit wahrscheinlich vollständig decken. Es muss sodann geprüft werden, ob sie aus dem erbrechtlichen Zufluss etwas nach den Regeln des SGB IX (Eingliederungshilfe) einsetzen muss. Der Zufluss ist nach §§ 135 ff. SGB IX kein Einkommen und der Freibetrag des Vermögens nach § 139 SGB XI i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII wird nicht überschritten. Der Waisen verbleibt der erbrechtliche Zufluss in dieser besonderen Fallkonstellation auch ohne Behindertentestament vollständig (mindestens aber weit überwiegend) zur freien Verfügung.

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