Rz. 273
Der einem Laien nur schwer zu erklärende Unterschied zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis führt zu einer Vielzahl auslegungsbedürftiger Testamente.
Rz. 274
Häufig wendet der Erblasser in seinem Testament einen bestimmten Gegenstand einer Person zu. Nach Ansicht des BayObLG kann dies dahingehend ausgelegt werden, dass, wenn es sich bei dem Gegenstand um den wesentlichen Teil des Vermögens des Erblassers handelt, eine Erbeinsetzung gewollt sein könne. Allerdings darf bei der Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnisanordnung der entscheidende Unterschied zwischen Erbenposition und Vermächtnisgläubigerschaft nicht außer Acht gelassen werden: Der Erbe ist verantwortlich für die ordnungsgemäße Abwicklung des Nachlasses, insbesondere für die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten, nicht aber der Vermächtnisnehmer. Der Erbe haftet persönlich bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung der Nachlassverbindlichkeiten, vgl. §§ 1978, 1980 BGB. Deshalb ist die Auslegung auch unter diesem Aspekt vorzunehmen.
Des Weiteren sind auch Veränderungen in der Vermögenszusammensetzung oder Vermögensverschiebungen nach Testamentserrichtung bei der Auslegung maßgeblich, wenn der Erblasser diese bereits zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung in seine Überlegungen mit einbezogen hat.
Rz. 275
Entsprechendes kann nach der BGH-Rechtsprechung auch dann angenommen werden, wenn der Erblasser sein gesamtes Vermögen entweder nach Vermögensgruppen oder nach Einzelgegenständen unter den bedachten Personen aufgeteilt hat. Hier ist es nahe liegend, dass eine Erbeinsetzung gewollt war. Die Höhe der Erbquote richtet sich hierbei regelmäßig nach dem Wert der jeweils zugeordneten Gegenstände. Für den Zeitpunkt der Bewertung ist darauf abzustellen, ob es dem Erblasser darauf ankam, den Bedachten entsprechend einem bestimmten Wertverhältnis am Nachlass zu beteiligen, dann ist der Zeitpunkt der Testamentserrichtung maßgebend. Kam es dem Erblasser dagegen in erster Linie darauf an, dem Bedachten die ihm zugewandten Gegenstände zukommen zu lassen, dann ist deren Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls für die Bewertung der einzelnen Gegenstände ausschlaggebend.
Rz. 276
Hat bspw. der zur Miete lebende Erblasser einen Begünstigten zum Alleinerben seiner Wohnung bestimmt und bewahrt er darin einen Großteil seines Vermögens auf, dann kann dies dahingehend ausgelegt werden, dass der Bedachte – da er alle wesentlichen Nachlassteile erhalten soll – Alleinerbe sein soll.
Rz. 277
Wendet der Erblasser dagegen einem Erben einzelne Gegenstände zu, dann kann, wenn darin keine Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen (§ 2087 Abs. 2 BGB) zu sehen ist, die Zuwendung als Vermächtnis – auch in der Variante des Vorausvermächtnisses – gewertet werden.
Rz. 278
Ebenso problematisch wie die Unterscheidung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis ist die Abgrenzung zwischen einer Teilungsanordnung und einem Vorausvermächtnis.
Rz. 279
Grundsätzlich ist von einer Teilungsanordnung auszugehen, wenn der Erblasser dem Bedachten zwar einzelne Gegenstände zugeordnet, aber damit keine wertmäßige Besserstellung über die Erbquote hinaus bezwecken wollte. Wollte der Erblasser mit der Zuordnung einzelner Gegenstände dagegen eine wertmäßige Besserstellung erreichen, dann ist von einem Vorausvermächtnis zugunsten des Bedachten auszugehen.
Rz. 280
Ist in der Verfügung von Todes wegen eine Anrechnung auf den Erbteil angeordnet, dann ist dies regelmäßig ein Indiz für eine Teilungsanordnung. Die Frage einer wertmäßigen Besserstellung und einer Anrechnungsbestimmung ist aber, wie die im Folgenden zitierte Entscheidung des BGH zeigt, nicht unbedingt das einzige Abgrenzungskriterium, so dass eine genaue Prüfung im Einzelfall erforderlich ist.
Rz. 281
BGH FamRZ 1995, 228:
Zitat
"Wendet der Erblasser einen bestimmten Gegenstand einem Miterben zu und ordnet er die Anrechnung des Wertes dieses Gegenstands auf den Erbanteil des Bedachten an, ist eine Auslegung dieser letztwilligen Zuwendung als Vorausvermächtnis nicht unter allen Umständen ausgeschlossen, vielmehr kann im Einzelfall ein von der Erbeinsetzung unabhängiger Geltungsgrund für die Zuwendung und damit ein Vorausvermächtnis gewollt sein. Die Auslegung des Testaments kann nämlich unter Berücksichtigung des Erblasserwillens ergeben, dass ein bestimmter Gegenstand einem Miterben etwa für den bei Testamentserrichtung hypothetischen Fall zugewendet werden soll, dass er das Erbe ausschlägt oder aus anderen Gründen nicht Erbe wird. War die Zuwendung des Gegenstands so gemeint, liegt ein von der Erbeinsetzung unabhängiger Geltungsgrund selbst dann vor, wenn das Vermächtnis die Erbquote wertmäßig nicht verschiebt, sondern wie hier auf die Erbquote anzurechnen ist. Somit ist klargestellt worden, dass mit der Abgrenzung des Vermächtnisses von der Teilungsanordnung anhand des Kriteriums einer wertmäßigen Begünstigung nicht alle Unterschiede zwischen beiden Rechtsinstituten erfasst sind."
Rz. 282
Ein weiteres praktisches Problem ist...