Rz. 299
Bei der Auslegung eines Ehegattentestaments findet nicht nur § 133 BGB, sondern – anders als beim Einzeltestament – auch § 157 BGB Anwendung, weil der Inhalt einer Ehegattenverfügung auch aus der Sicht des Erklärungsempfängers, hier des anderen Ehegatten, zu beurteilen ist. Deshalb ist nach der BGH-Rechtsprechung der Wortlaut eines gemeinschaftlichen Testaments auch daraufhin zu überprüfen, ob der Inhalt auch mit dem Willen des anderen Ehegatten übereinstimmt.
Rz. 300
Das gemeinschaftliche Testament ist eine doppelte, einseitige, wenn auch verknüpfte, letztwillige Verfügung.
Das gemeinschaftliche Testament muss daher immer letztwillige Verfügungen beider Ehegatten bzw. bis zum 1.10.2017 eingetragener Lebenspartner enthalten, § 2265 BGB, § 10 Abs. 4 LPartG. Ob sie einseitig, gegenseitig oder wechselbezüglich sind, spielt keine Rolle. In der Regel wird schon äußerlich durch die Abfassung einer einheitlichen Urkunde der Wille der Ehegatten zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments dokumentiert werden. Das notariell beurkundete gemeinschaftliche Testament kann nur in einer einheitlichen Urkunde errichtet werden. Unklarheiten können sich beim privatschriftlichen Testament ergeben.
Die herrschende subjektive Theorie sieht den Willen der Ehegatten, gemeinschaftlich von Todes wegen verfügen zu wollen, als wesentlich an.
Selbst bei getrennten Urkunden kann ein gemeinschaftliches Testament vorliegen, wenn der Wille zur gemeinsamen Verfügung sich aus beiden Urkunden – beispielsweise durch Bezugnahme – ergibt.
§ 2265 BGB ermöglicht Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern eine gemeinschaftliche Nachlassplanung. Zumindest aus diesem Grund müssen ihre Willenserklärungen aufeinander abgestimmt sein.
Rz. 301
Lässt sich bei der Auslegung der einzelnen Verfügung eine derartige Übereinstimmung der beiderseitigen Vorstellungen und Absichten nicht feststellen oder lag eine solche nicht vor, dann muss allerdings auf den Willen gerade des Erblassers abgestellt werden, um dessen testamentarische Verfügung es geht. Für den Zeitpunkt der übereinstimmenden Willenserklärung ist die Errichtung der Verfügung von Todes wegen maßgebend.
Rz. 302
Ein zentrales Problem bei der Auslegung von Ehegattentestamenten ist die Frage der Wechselbezüglichkeit bzw. der Bindungswirkung (nach dem Tod eines Ehegatten) der gegenseitigen Erbeinsetzungen. Unter Wechselbezüglichkeit versteht man die gegenseitige innere Abhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen aus dem Zusammenhang des Motivs und wenn "eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll", § 2270 Abs. 1 BGB.
Beispiel
Ehegatten setzen sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Der eine würde den anderen nicht zum Erben einsetzen, wenn nicht auch der andere ihn zum Erben einsetzen würde. Die eine Erbeinsetzung soll von der anderen abhängig sein.
Wechselbezüglichkeit ist für jede einzelne testamentarische Verfügung gesondert zu prüfen.
Nach § 2270 Abs. 3 BGB können neben der Erbeinsetzung auch das Vermächtnis und die Auflage wechselbezüglich sein (das Entsprechende bezüglich der Vertragsmäßigkeit gilt im Übrigen für den Erbvertrag: § 2278 Abs. 2 BGB). Andere Verfügungen – beispielsweise Teilungsanordnung, Testamentsvollstreckungsanordnung – können nicht wechselbezüglich sein. Es unterliegt dem – erforderlichenfalls durch Auslegung zu ermittelnden – Willen der Erblasser, ob und in welchem Umfang jede einzelne Verfügung wechselbezüglich sein soll.
Dazu der BGH in BGHZ 30, 261, 265:
Zitat
"Da die Ehegatten frei darüber bestimmen können, ob und inwieweit ihre Verfügungen wechselbezüglich sein sollen, muß es ihnen auch gestattet sein, die Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen über den im Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus zu erweitern (BGHZ 2, 35, 37)."
BayObLG:
Zitat
"Nach § 2270 I BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen dann wechselbezüglich und damit für den überlebenden Ehegatten bindend getroffen, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen der gemeinschaftlichen Testierenden die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (BayObLGZ 1991, 173/175f; OLG Hamm, FamRZ 2004, 662 = FGPrax 2003, 402). Maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (BGHZ 112, 229/233). Enthält ein gemeinschaftliches Testament keine klare und eindeutige Anordnung zur Wechselbezüglichkeit, muss diese nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und für jede Verfügung gesondert ermittelt werden (BGH, NJW-RR 1987, 1410)."
Erst wenn die Ermittlung des Erblasserwillens weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen ergibt, ist gemäß § 2270 II BGB im Zweifel Wechselbezüglichkeit anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen...