I. Allgemeines
Rz. 392
Vorauszuschicken ist, dass sich der Pflichtteilsberechtigte im Grundsatz den Pflichtteilsanspruch nicht durch Ausschlagung der Erbschaft eröffnen kann. Lediglich in zwei Fällen eröffnet die Ausschlagung den Pflichtteilsanspruch:
(1) im Falle des § 1371 Abs. 3 BGB für den überlebenden Ehegatten bei bestanden habender Zugewinngemeinschaft und
(2) im Falle des § 2306 Abs. 1 BGB, wenn der Pflichtteilsberechtigte mit den dort genannten Beschränkungen und Beschwerungen belastet ist.
Denn Tatbestandsvoraussetzung für das Entstehen eines Pflichtteilsanspruchs ist nach dem Wortlaut von § 2303 BGB die Enterbung und nicht die Ausschlagung. Die Frage, ob der pflichtteilsberechtigte Erbe im Falle des § 2306 Abs. 1 BGB die Erbschaft ausschlagen soll, richtet sich zum einen danach, ob er dadurch wertmäßig besser gestellt wäre, und zum anderen danach, ob die Voraussetzungen einer Ausschlagungsmöglichkeit gegeben sind, ohne dass der Erbe seine Rechte (Pflichtteil) verliert. Grundsätzlich gilt, dass der oder die Erben mit der Ausschlagung ihr Erb- und Pflichtteilsrecht verlieren. Nur in den Fällen des § 2306 Abs. 1 BGB, der so genannten taktischen Ausschlagung, hat der Erbe die Möglichkeit, das Erbe auszuschlagen und seinen Pflichtteil zu verlangen.
Hinweis
Die Ausschlagung einer Erbschaft für einen Minderjährigen bedarf grundsätzlich der familiengerichtlichen Genehmigung (§ 1643 Abs. 2 S. 1 BGB), was allerdings dann nicht gilt, wenn der Anfall der Erbschaft erst durch vorangegangene Ausschlagung des gesetzlichen Vertreters erfolgte.
Rz. 393
Der pflichtteilsberechtigte Erbe kann nach § 2306 Abs. 1 BGB die Erbschaft ausschlagen und seinen Pflichtteil verlangen, wenn der Erbteil mit Beschränkungen und/oder Beschwerungen der in § 2306 BGB bezeichneten Art belastet ist. Dies kann sowohl ein testamentarischer als auch ein gesetzlicher Erbteil sein.
Rz. 394
Im Rahmen des § 2306 Abs. 1 BGB kann der Erbteil eingeschränkt sein durch Beschwerungen, bspw. mit einem Vermächtnis, oder mit einer Auflage. Die Beschränkungen bestehen in der Einsetzung eines Nacherben, der Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder in einer Teilungsanordnung. Die Aufzählung in § 2306 Abs. 1 BGB ist abschließend, eine Ausdehnung auf andere Tatbestände ist unzulässig.
Rz. 395
Reicht der Wert des Hinterlassenen nicht an den Wert des Pflichtteils heran, so kann der Pflichtteilsberechtigte seinen Restpflichtteil, die Differenz zwischen dem erlangten Erbteil und seinem eigentlichen Pflichtteil, nach § 2305 BGB fordern.
Rz. 396
Die Möglichkeit der "taktischen" Ausschlagung bietet sich sowohl dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte durch die Erbeinsetzung mehr oder weniger als seinen Pflichtteil erhalten hat. Für eine Anwendbarkeit der "taktischen" Ausschlagung ist zunächst die Höhe des erlangten Erbteils festzustellen.
II. Ausschlagungsfrist
Rz. 397
Grundsätzlich beträgt die Ausschlagungsfrist gemäß § 1944 Abs. 1 BGB sechs Wochen und beginnt gemäß § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB ab Kenntnis des Erbfalls und des Berufungsgrundes. Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Monate, wenn sich der Erbe bei Fristbeginn im Ausland aufhält (§ 1944 Abs. 3 BGB). Bei Minderjährigen ist dabei auf den Aufenthalt des gesetzlichen Vertreters abzustellen. Ist der Erbe durch Verfügung von Todes wegen berufen, dann beginnt die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen zu laufen (§ 1944 Abs. 2 S. 2 BGB).
Die Bekanntgabe kann entweder mündlich an die bei der Eröffnungsverhandlung Anwesenden (§ 348 Abs. 2 FamFG) oder schriftlich an die nicht Anwesenden (§ 348 Abs. 3 FamFG) erfolgen. Für die Ausübung des Wahlrechts nach § 2306 Abs. 1 BGB beginnt die Frist allerdings erst ab Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von den Beschränkungen und Beschwerungen. Vgl. im Übrigen zum Fristbeginn U. Mayer, DNotZ 1996, 433.
Rz. 398
Ein in diesem Zusammenhang auftretendes Problem ist die Frage der Ausschlagung durch die Schlusserben, wenn die Ehegatten ein wechselbezügliches Testament errichtet haben. Liegt ein wechselbezügliches Testament in Form der Einheitslösung vor, so bedarf es einer Ausschlagung auf den Tod des ersterbenden Elternteils nicht. Der pflichtteilsberechtigte Schlusserbe kann seinen Pflichtteil gleich geltend machen, da er für den ersten Todesfall enterbt ist.
Liegt dagegen ein Ehegattentestament in der Form der Trennungslösung (Vor- und Nacherbschaft) vor, so muss der Nacherbe alsbald die ...