Rz. 320

Aufgrund der Schwierigkeiten, die sich bei der Auslegung von Testamenten ergeben, und aufgrund der Tatsache, dass eine zuverlässige Prognose über den Ausgang eines Verfahrens auf Feststellung des Erbrechts in den meisten Fällen unmöglich ist, ist die außergerichtliche Vergleichsbereitschaft der Mandanten und Parteien in der Regel nicht gering.

 

Rz. 321

Die Einigung der Beteiligten über die Auslegung einer Verfügung von Todes wegen kann in einem Auslegungsvertrag[323] erfolgen.[324] Der Auslegungsvertrag hat aber keine dingliche Wirkung. Er verpflichtet die Beteiligten eines Erbscheinsverfahrens lediglich, sich verfahrensrechtlich gegenseitig so zu stellen, als sei die vereinbarte Auslegung richtig. Rechtsdogmatisch ist der Auslegungsvertrag ein pactum de non petendo. Das Nachlassgericht ist im Erbscheinserteilungsverfahren an den Auslegungsvertrag nicht gebunden.[325]

 

Rz. 322

Trifft der Auslegungsvertrag eine Regelung über die Erbfolge, was in der Regel der Fall sein wird, dann ist er gemäß §§ 2371, 2385 BGB notariell zu beurkunden.[326] Gleiches gilt für den Fall, dass es sich gleichzeitig um einen Auseinandersetzungsvertrag handelt und aufgrund anderer Formvorschriften, bspw. § 311b BGB, die notarielle Beurkundung erforderlich ist.[327]

 

Rz. 323

 

Formulierungsbeispiel: Auslegungsvertrag

Verhandelt

zu (...) am (...)

Vor mir, dem unterzeichnenden Notar

(...)

mit dem Amtssitz zu (...)

sind heute anwesend:

1. Herr Peter Muster, Sohn des Erblassers
2. Herr Rudolf Muster, Sohn des Erblassers
3. Frau Petra Muster, Tochter des Erblassers
4. Frau Marianne Muster, die Ehefrau des Erblassers
5. Herr Steuerberater Mayer als Testamentsvollstrecker,

und erklärten zur Beurkundung folgenden

Testamentsauslegungs-Vertrag

Der Vertrag betrifft die Auslegung des notariellen Testaments vom (...) des Notars (...) mit Sitz in (...) und die Abwicklung des Nachlasses des am (...) verstorbenen Erblassers (...), zuletzt wohnhaft in (...).

Es besteht Unklarheit über die Auslegung des Testaments vom (...) und insbesondere über die Frage der Höhe der Vermächtnisse sowie der Verteilung der Pflichtteils- und Vermächtnislasten. Die Summe der ausgesetzten Vermächtnisse übersteigt den vorhandenen Nachlass um ein Vielfaches. Inwieweit sich der Erblasser über das Missverhältnis von verfügbarem Nachlass einerseits und der Höhe der Vermächtnislasten andererseits bereits im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments im Klaren war, ist unbekannt. Die die Alleinerbin Marianne Muster (Beteiligte Ziff. 4) treffenden Pflichtteils- und Vermächtnislasten drohen die Erbschaft auszuhöhlen.

Unklar ist, ob neben der Alleinerbeinsetzung der Beteiligten zu 4. dieser in Bezug auf das Immobilienvermögen ein Vorausvermächtnis zustehen sollte. Um diese und etwaige weitere Auslegungsprobleme zu beseitigen, wollen alle Beteiligten ihr Verhältnis untereinander verbindlich festlegen, ohne Rücksicht darauf, ob sich ihre Auslegung im Nachhinein als zutreffend oder unzutreffend erweisen sollte. Damit wollen die Vertragsschließenden die Auslegung des Testaments einem künftigen Streit entziehen.

Zu diesem Zweck schließen sie den nachstehenden Feststellungs- oder Auslegungsvertrag gemäß §§ 311, 2385 BGB:

1. Die Beteiligte zu 4, Frau Marianne Muster, ist Alleinerbin und hat die nachstehend näher bezeichneten Pflichtteils- und Vermächtnislasten allein zu tragen.
2. Dem Beteiligten zu 1, Herrn Peter Muster, steht ein Vermächtnis in Höhe von 1.000.000 EUR (in Worten: eine Million EUR) zu.
3. Dem Beteiligten zu 2, Herrn Rudolf Muster, steht ein Vermächtnis in Höhe von 1.000.000 EUR (in Worten: eine Million EUR) zu.
4. Der Beteiligten zu 3, Frau Petra Muster, steht ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 250.000 EUR (in Worten: zweihundertfünfzigtausend EUR) zu.

Alle Beteiligten verpflichten sich, in einem etwaigen Erbscheinsverfahren darauf hinzuwirken, dass die Beteiligte zu 4. als Alleinerbin im Erbschein genannt wird.

Die Vermächtnisnehmer sind von sämtlichen Lasten aus der Erfüllung etwaiger Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche freigestellt, insbesondere werden vorstehende Ansprüche nicht gekürzt.

Sollten sich die bisher bekannten und der Vermögensaufstellung zugrunde gelegten Vermögenswerte im Nachhinein ändern, sei es, dass bisher überhaupt nicht bekannte Vermögenswerte auftauchen, z.B. aus finanziellen Transaktionen des Erblassers, oder dass Ansprüche aus dem EALG (Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz) realisiert werden oder dass sich die in der Vermögensaufstellung genannten Steuerschulden für die noch nicht veranlagten Zeiträume bis (…) wesentlich ändern, erhalten die in diesem Vertrag aufgeführten Personen Nr. 2–4 entsprechende Nachzahlungen.

Maßgebend für die Aufteilung sind die Quoten, welche sich aus der nachstehenden Übersicht ergeben. Diese Quoten betragen für:

 
1. Frau Marianne Muster 750.000 EUR (3/12)
2. Herrn Peter Muster 1.000.000 EUR (⅓)
3. Herrn Rudolf Muster 1.000.000 EUR (⅓)
4. Frau Petra Muster 250.000 EUR (1/12)

Der Nachlassbestand entspricht der A...

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