Rz. 289
Durch die WEG-Reform 2020 sind zahlreiche im alten Recht hochstreitige Probleme im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten entfallen. Das hat zwei Gründe: Zum einen hat der Verwalter gem. § 9b Abs. 1 S. 1 WEG ohne Notwendigkeit der Beschlussfassung Vertretungsmacht zur Prozessführung, seien es Aktiv- oder Passivprozesse der Gemeinschaft. Zum anderen sind Beschlussklagen gem. § 44 Abs. 2 WEG gegen die Gemeinschaft – und nicht mehr gegen die übrigen Miteigentümer – zu richten, wodurch alle mit der früheren Vertretung der Wohnungseigentümer durch den Verwalter zusammenhängenden Fragen entfallen sind.
a) Aktivprozesse
Rz. 290
Ob der Verwalter befugt ist, ohne Beschluss der Gemeinschaft gerichtliche Schritte (Klage, Beweisverfahren, einstweilige-Verfügungs-Verfahren) einzuleiten, bestimmt sich nach den Kriterien des § 27 Abs. 1 WEG, sofern die Gemeinschaft nicht durch Beschluss gem. § 27 Abs. 2 WEG allgemein oder im Einzelfall eine Regelung getroffen hat. Zu gerichtlichen Maßnahmen zwecks Hausgeldbeitreibung ist der Verwalter grundsätzlich ohne Beschluss befugt (→ § 10 Rdn 238), wohingegen eine sonstige Klageerhebung gegen Miteigentümer nach hier vertretener Auffassung niemals untergeordnete Bedeutung i.S.v. § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG hat und deshalb immer einer besonderen Beschlussfassung bedarf (→ § 10 Rdn 266). Eine Pflicht, die Eigentümer über die Einleitung von Aktivprozessen zu informieren, sieht das Gesetz – anders als bei Passivprozessen gem. § 44 Abs. 2 WEG – nicht vor. Es ist sinnvoll, eine Informationspflicht im Verwaltervertrag zu verankern.
Rz. 291
Soweit eine Vertretungsbefugnis besteht, umfasst diese auch die Beauftragung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Die Befugnis umfasst auch die etwaige Zwangsversteigerung einer Schuldnerwohnung, was regelmäßig die einzig sinnvolle Maßnahme der Zwangsvollstreckung im Zuge der Hausgeldbeitreibung darstellt.
b) Passivprozesse
Rz. 292
Wenn die Gemeinschaft verklagt wird, hat der Verwalter grundsätzlich das Recht und die Pflicht zur Verteidigung. Das gilt auch und insbesondere für Beschlussklagen, denn im Normalfall ist der Verwalter als Vollzugsorgan dazu berufen, den Mehrheitswillen gegen eine Anfechtungsklage zu verteidigen (→ § 10 Rdn 260). Im Einzelfall kann es aber auch einmal anders sein. Der Verwalter muss seine Entscheidung, ob er einer Klage entgegentritt oder nicht, am Maßstab ordnungsmäßiger Verwaltung ausrichten. Wenn eine Beschlussanfechtungsklage voraussichtlich erfolgreich sein wird, beispielsweise weil die Gemeinschaft in Kenntnis der Anfechtbarkeit einen rechtswidrigen Beschluss ("Zitterbeschluss") gefasst hat oder weil ein offenkundiger Formfehler vorliegt, muss der Verwalter der Klage nicht entgegentreten; er kann Versäumnisurteil ergehen lassen. Denn es entspricht dem Interesse der Gemeinschaft, keine Kosten in eine voraussichtlich aussichtslose Rechtsverteidigung zu investieren.
Rz. 293
Praxistipp
Aus Kostengründen ist von einem Anerkenntnis abzuraten: Ein kostenbefreiendes sofortiges Anerkenntnis i.S.v. § 93 ZPO gibt es bei der Beschlussanfechtung nicht, und ein Versäumnisurteil verursacht auf beiden Seiten weniger Rechtsanwaltsgebühren. Die Einsparung an Rechtsanwaltsgebühren überwiegt den Nachteil höherer Gerichtsgebühren (3,0-Gebühr gem. Nr. 1210 GKG-KV beim Versäumnisurteil gegenüber 1,0-Gebühr gem. 1211 Nr. 2 GKG-KV beim Anerkenntnisurteil).
Rz. 294
Beschlussklagen hat der Verwalter gem. § 44 Abs. 2 WEG den Wohnungseigentümern unverzüglich bekannt zu machen (Informationspflicht). Zu den Möglichkeiten hat der BGH ausgeführt: "Wie der Verwalter die Wohnungseigentümer informiert, ist seine Sache. Er kann es sachgerecht mündlich auf einer Versammlung der Wohnungseigentümer tun oder durch Versendung von Rundschreiben. Erscheint es geboten, dem einzelnen Wohnungseigentümer eine Abschrift des zugestellten Schriftstücks zu übermitteln, kann und muss der Verwalter solche Abschriften herstellen lassen." Wenn der Verwalter aus Anlass der Klage nicht sogleich eine Versammlung einberuft, dürfte nur ein Rundschreiben unter Beifügung der Klage und der ersten gerichtlichen Verfügung(en) dem Informationsbedürfnis der Miteigentümer genügen. Die Information muss nicht zwingend per Post und auf Papier erfolgen; der Verwalter kann und sollte die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen (→ § 4 Rdn 15). Entsprechende Regelungen im Verwaltervertrag sind zu empfehlen. Etwaige infolge der Information der Miteigentümer angefallene Kosten gehören nicht zu den Prozesskosten gem. § 91 ZPO. Sollte der Verwalter der Klage einmal nicht entgegentreten, sondern Versäumnisurteil ergehen lassen, muss er die beklagten Miteigentümer nicht nur über den Eingang der Klage, sondern auch darüber unterrichten, dass er keine Maßnahmen zur Verteidigung des Besch...