1. Aktivvertretung
Rz. 314
Hat die Gemeinschaft keinen Verwalter, wird sie gem. § 9b Abs. 1 S. 2 WEG durch die Wohnungseigentümer gemeinschaftlich vertreten (Gesamtvertretung). Die (Gesamt-)Vertretung erfordert die Mitwirkung sämtlicher Wohnungseigentümer am fraglichen Rechtsgeschäft. Will die Gemeinschaft also beispielsweise einen Reparaturauftrag erteilen oder eine Kündigung aussprechen, müssen alle Miteigentümer unterschreiben (oder mündlich zustimmen, was aber Nachweisprobleme nach sich zieht). Die im alten Recht bestehende Möglichkeit, durch Beschluss einen oder mehrere Miteigentümer zur Vertretung der Gemeinschaft zu ermächtigen, gibt es nach jetzigem Recht nicht mehr. Die Gesamtvertretung ist allenfalls in (sehr) kleinen Gemeinschaften praktikabel, woraus – vom Gesetzgeber durchaus so gewollt – ein faktischer Zwang zur Verwalterbestellung resultiert.
Rz. 315
Schwierig ist die Situation im Passivprozess, d.h. wenn eine verwalterlose Gemeinschaft verklagt wird. Während die Klageerhebung erstaunlicherweise unproblematisch ist (die Klage kann wirksam einen beliebigen Eigentümer zugestellt werden (→ § 10 Rdn 319), setzt die Rechtsverteidigung voraus, dass (fast) alle Eigentümer zusammenwirken, um eine entsprechende Erklärung im Namen der Gemeinschaft abgeben zu können. "Fast" alle und nicht "alle" deswegen, weil der oder die Kläger nicht an der Prozessvertretung der beklagten Gemeinschaft mitwirken müssen oder dürfen, denn sonst würde ein unzulässiger Insichprozess vorliegen. Eine verklagte Gemeinschaft wird deshalb nicht von allen, sondern von allen Wohnungseigentümern mit Ausnahme der Kläger vertreten. Eine Mitwirkung aller ("beklagten") Eigentümer kommt in größeren Gemeinschaften erfahrungsgemäß nicht zustande. Sofern das Gericht nicht gem. § 57 Abs. 1 ZPO einen Prozesspfleger bestellt, kommen die folgenden Auswege zur Verteidigung in Betracht.
Rz. 316
Die Wohnungseigentümer können auf einer kurzfristig einberufenen Versammlung die erforderlichen Schritte beschließen. Mangels Verwalter muss die Einberufung durch einen oder mehrere engagierte, in rechtlicher Hinsicht aber unbefugte Eigentümer erfolgen (→ § 7 Rdn 12). Auf der Versammlung kann ein Verwalter bestellt werden (sofern so schnell ein übernahmebereiter Kandidat gefunden werden kann), der im Weiteren die Vertretung der Gemeinschaft übernimmt. Die Eigentümer können auch einen der ihren, also einen Miteigentümer, als "Kurzzeitverwalter" bestellen, dessen einzige Aufgabe darin besteht, eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Verteidigung der Gemeinschaft zu beauftragen. Die Eigentümer können aber auch direkt die Beauftragung einer Rechtsanwaltskanzlei mit der Vertretung der Gemeinschaft beschließen. Die zur Mandatierung erforderliche Willenserklärung der Gemeinschaft ist im Beschluss erhalten, welcher der Rechtsanwaltskanzlei nur noch zugehen muss; auf den Zugang der Annahmeerklärung kann gem. § 151 BGB verzichtet werden. Es verhält sich nicht anders als bei der Verwalterbestellung bzw. -abberufung (→ § 10 Rdn 45, → § 10 Rdn 156). Ob die jeweiligen Beschlüsse anfechtbar sind oder nicht, ist unerheblich, denn jedenfalls sind sie wirksam. Sollte ein Bestellungsbeschluss angefochten und später gerichtlich für ungültig erklärt werden, bleiben die vom (Kurzzeit-)Verwalter“ vorgenommenen Handlungen (insbesondere die Rechtsanwaltsbeauftragung) analog § 47 FamFG davon unberührt (→ § 10 Rdn 77). Sollte die Beauftragung der Anwaltskanzlei "direkt" durch Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung sein, kann nichts anderes gelten.
Rz. 317
Einzelne Wohnungseigentümer, die von der Klage Kenntnis erlangt haben und denen an einer Prozessvertretung der Gemeinschaft gelegen ist, können im eigenen Namen und auf eigene Rechnung als streitgenössische Nebenintervenienten gem. § 69 dem Rechtsstreit aufseiten der Gemeinschaft beitreten und gewissermaßen für diese den Prozess führen. Das bedarf einer gehörigen Portion Altruismus, denn einen Anspruch gegen die Gemeinschaft auf Kostenerstattung gibt es infolge der auch in der vorliegenden Situation einschlägigen, restriktiven BGH-Rspr. zu Erstattungsansprüchen (→ § 12 Rdn 13) nicht; ansonsten wäre ein Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. §§ 670, 683 S. 1 BGB (berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag) zu bejahen.
Rz. 318
Muster 10.24: Beitritt eines Wohnungseigentümers als Streithelfer
Muster 10.24: Beitritt eines Wohnungseigentümers als Streithelfer
An das Amtsgericht
2 C 08/22 WEG
In Sachen
Kläger ./. WEG Heinestraße 12, 75234 Musterstadt
zeige ich an, dass wir den Miteigentümer der Beklagten
Herrn Achim Acker, Heinestraße 12, 75234 Musterstadt
- Streithelfer -
anwaltlich vertreten.
Namens unseres Mandanten erklären wir hiermit den Beitritt als streitgenössischer Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten, zeigen Verteidigungsbereitschaft an und beantragen Klageabweisung.