Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 109
Nach § 17 Ziff. 11 RVG sind das Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren verschiedene Angelegenheiten. Das heißt, dass für die Tätigkeit des RA im Vorverfahren und im nachfolgenden Hauptverfahren jeweils eine gesonderte Vergütungsrechnung anzufertigen ist. Die Vorverfahrensgebühr wird nicht auf eine Verfahrensgebühr im gerichtlichen Verfahren angerechnet. Die Auslagenpauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte (Nr. 7002 VV RVG) entsteht demnach im Vorverfahren und noch einmal im gerichtlichen Verfahren. Auch die Dokumentenpauschale (Nr. 7000 VV RVG) wird im Hauptverfahren neu ab der ersten Kopie berechnet, falls nochmals Kopien gefertigt werden. Siehe auch Rdn 117.
Für Tätigkeiten im Verfahren vor dem Amtsgericht erhält der Verteidiger eine Verfahrensgebühr nach den Nrn. 5107, 5109 oder 5111 VV RVG. Außerdem können Terminsgebühren für jeden Tag der Hauptverhandlung gemäß den Nrn. 5108, 5110 oder 5112 VV RVG anfallen. Diese Gebühren sind von der Höhe der Geldbuße abhängig, genauso wie im Vorverfahren (siehe vorstehendes Kapitel).
Rz. 110
Die Verfahrensgebühr im Hauptverfahren entsteht gemäß Vorbemerkung 5, Abs. 2 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Entgegennahme der notwendigen Informationen. Sie entsteht also bereits in dem ersten Gespräch mit dem Mandanten.
Rz. 111
Die Terminsgebühr im Hauptverfahren entsteht für jeden Tag, an dem eine Hauptverhandlung stattfindet und erwächst gemäß Vorbemerkung 5.1.3, Abs. 1 VV RVG auch für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen außerhalb der Hauptverhandlung, z. B. Augenscheinseinnahmen.
Rz. 112
Das Hauptverfahren beginnt mit dem Eingang der Akten bei Gericht. Es endet nach einer Hauptverhandlung durch Urteil, ohne Hauptverhandlung durch Beschluss oder mit der Einstellung des Verfahrens durch das Gericht (§ 47 Abs. 2 OWiG). Die eventuelle Einlegung einer Rechtsbeschwerde gehört noch dazu, aber nicht mehr ihre Begründung (§ 19 Abs. 1 Ziff. 10 RVG).
Rz. 113
Falls das Amtsgericht nach § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG ohne Hauptverhandlung – also nur im schriftlichen Verfahren – durch Beschluss entscheidet, entsteht nach Nr. 5115 Anm. Abs. 1 Ziff. 5 VV RVG noch eine Zusatzgebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr (Zusatz-Verfahrensgebühr). Voraussetzung für eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung ist, dass weder die Staatsanwaltschaft noch der Betroffene widersprechen. Wenn der RA daran mitwirkt, dass sein Mandant nicht widerspricht, trägt er dazu bei, dass eine Hauptverhandlung entbehrlich wird. Dies soll durch die Zusatzgebühr belohnt werden. Die Höhe der Zusatzgebühr richtet sich für den Wahlanwalt nach der Rahmenmitte der entsprechenden Verfahrensgebühr (Anm. Abs. 3).
Beispiel:
Gegen den Reiner Raser wurde wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeldbescheid erlassen, in dem Herrn Raser ein Bußgeld von 160,00 EUR und ein Fahrverbot von einem Monat auferlegt wurde. Mit dem Bußgeldbescheid erscheint er bei RA Schleunig, der zunächst fristgerecht Einspruch einlegt und dann nach Akteneinsicht umfassend Stellung nimmt. Nach dem Vortrag von RA Schleunig ist Raser erst 200 m hinter der Ortsgrenze zu schnell gefahren. Aus der mit der Post versandten Ermittlungsakte hat RA Schleunig 5 Kopien gefertigt.
Die Verwaltungsbehörde nimmt den Bußgeldbescheid nicht zurück und legt die Akte über die Staatsanwaltschaft dem Amtsgericht vor. Das Amtsgericht entscheidet nach § 72 Abs. 1 OWiG ohne Hauptverhandlung durch Beschluss, in dem es das Bußgeld auf 95,00 EUR senkt und das Fahrverbot aufhebt. RA Schleunig hatte dem Verfahren des Amtsgerichts nach Beratung seines Mandanten nicht widersprochen.
Berechnung der Vergütung (Bußgeldsache vor Verwaltungsbehörde):
|
Grundgebühr gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nr. 5100 VV RVG |
110,00 EUR |
|
Vorverfahrensgebühr bei einer Geldbuße von 60,00 EUR bis 5.000,00 EUR gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nr. 5103 VV RVG |
176,00 EUR |
20 % |
Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
|
Dokumentenpauschale gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7000 Ziff. 1 Lit. a) VV RVG (5 Kopien) |
2,50 EUR |
|
Auslagen für die Aktenversendungspauschale (Nr. 9003 Ziff. 1 KV GKG) |
12,00 EUR |
|
|
320,50 EUR |
19 % |
USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG |
60,90 EUR |
|
|
381,40 EUR |
Berechnung der Vergütung (Bußgeldsache vor dem Amtsgericht):
|
Verfahrensgebühr bei einer Geldbuße von 60,00 EUR bis 5.000,00 EUR gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nr. 5109 VV RVG |
176,00 EUR |
|
Zusatz-Verfahrensgebühr gem. §§ 2 Abs. 2 RVG, Nr. 5115 Anm. Abs. 1 Ziff. 5, Abs. 3 S. 2 i. V. m. Nr. 5109 VV RVG |
176,00 EUR |
20 % |
Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
|
|
372,00 EUR |
19 % |
USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG |
70,68 EUR |
|
|
442,68 EUR |
Merke zum Bußgeldverfahren:
Das Hauptverfahren beginnt mit dem Eingang der Akten bei Gericht.
Der RA erhält nur einmalig eine Grundgebühr.
Der RA erhält je eine Verfahrensgebühr im Vorverfahren und im H...