Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 8
Die oben (siehe § 2 Rdn 108 ff.) dargestellten Grundlagen der Berechnung von Rahmengebühren gelten selbstverständlich auch für die Gebühren in Strafsachen. Nach § 14 RVG bestimmt der RA die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Auch in Strafsachen gilt, dass von der Mittelgebühr auszugehen ist, wenn keine besonderen Umstände erkennbar sind, die eine Erhöhung oder eine Ermäßigung rechtfertigen.
In Strafsachen sind jedoch naturgemäß einige besondere Überlegungen anzustellen:
▪ |
Bedeutung der Angelegenheit: Für einen nicht vorbestraften Beschuldigten wiegt die Bedeutung schwerer. Wenn es um Entzug eines Führerscheins geht, ist die Bedeutung für einen beruflich auf das Autofahren angewiesenen Beschuldigten (z. B. Taxifahrer) höher als z. B. für einen Rentner. Bei einer zu erwartenden nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe ist die Bedeutung für den Beschuldigten erheblich höher als bei einer zu erwartenden Geldstrafe. In den genannten Fällen kann daher auch eine von der Mittelgebühr nach oben hin abweichende Gebühr in Ansatz gebracht werden. |
▪ |
Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit: Gebührenerhöhend könnte sich auswirken, wenn ein Ortstermin an der (entfernten) Unfallstelle wahrzunehmen ist, wenn die Hauptverhandlung von ungewöhnlich langer Dauer ist, wenn sehr umfangreiche Akten durchzuarbeiten sind oder wenn der RA sprachliche Verständigungsschwierigkeiten mit dem Beschuldigten hat. |
▪ |
Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers: Bei ähnlicher Angelegenheit wird ein "armer" Beschuldigter, der mit seinem geringen Einkommen Unterhalt für einige Kinder aufbringen muss, weniger als die Mittelgebühr, ein "reicher" Beschuldigter dagegen mehr als die Mittelgebühr bezahlen müssen. |
Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass "billiges Ermessen" nicht bedeutet, dass der RA die Gebühren nach seinem Belieben festlegen kann; er ist vielmehr zur Berücksichtigung aller dieser Umstände gesetzlich verpflichtet.
Beispiel:
Ein reicher Ausländer, mit dem der RA sich nur auf Arabisch verständigen kann, wird wegen eines Wirtschaftsverbrechens beschuldigt. Der RA verfügt neben Kenntnis der arabischen Sprache über die notwendigen wirtschaftlichen Spezialkenntnisse. Die Hauptverhandlung, für die die Gebühr zu berechnen ist, dauert von 8 bis 19 Uhr. Hier wäre wohl die Höchstgebühr gerechtfertigt.
Beispiel:
Ein armer Mandant ist vor dem Schwurgericht angeklagt. Es handelt sich um eine einfache Sache von geringem Schwierigkeitsgrad für den Verteidiger. Die Bedeutung für den Angeklagten ist dagegen normal, so wie es eben ist, wenn man vor dem Schwurgericht angeklagt wird. Insgesamt wäre in diesem Fall eine unterhalb der Mittelgebühr liegende Gebühr angemessen.
Zunächst ist der Gebührenrahmen festzustellen. Er ergibt sich z. B. aus Nr. 4118 VV RVG. Die Mittelgebühr wäre dann:
Mittelgebühr: (110,00 EUR + 759,00 EUR) : 2 = 434,50 EUR
Eine Gebühr von etwa 350,00 EUR (zuzüglich Auslagen und USt.) könnte hier angemessen sein.
Eine mathematische Lösung gibt es für solche Fälle übrigens nicht!
In diesem Buch wird, wenn nicht anders angegeben, bei der Berechnung der Vergütung in Straf- und Bußgeldsachen davon ausgegangen, dass es sich um durchschnittliche Fälle im Sinne des § 14 RVG handelt, sodass bei den Gebühren grundsätzlich die Mittelgebühr des jeweiligen Rahmens berechnet wird. [Dies gilt auch für die Übungsaufgaben.]
Merke:
Die Rahmengebühren in Strafsachen werden nach § 14 RVG unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände bestimmt.
Bei der Bemessung wird im konkreten Einzelfall von der Mittelgebühr ausgegangen.