I. Allgemeines
Rz. 78
Unter Anwachsung versteht man die innerhalb gewillkürter Erbfolge gewollte, infolge des Wegfalls eines Miterben vor bzw. nach dem Erbfall aber mit Rückwirkung auf ihn eintretende Vergrößerung des den anderen Miterben zugewendeten Erbteils. Sind also mehrere Erben durch letztwillige Verfügung eingesetzt und fällt einer von ihnen vor oder nach Eintritt des Erbfalls weg, so wächst dessen Erbteil den übrigen Erben nach dem Verhältnis ihrer Erbteile an.
Vor dem Erbfall kann der Bedachte z.B. durch eigenen Tod oder Zuwendungsverzicht (§ 2352 BGB) wegfallen. Nach dem Erbfall entfällt der Bedachte durch Ausschlagung (§ 1953 BGB) oder z.B. durch Erbunwürdigkeitserklärung.
Die Anwachsung entspricht § 1935 BGB bei der gesetzlichen Erbfolge. Sofern einige der Erben auf einen gemeinschaftlichen Erbteil eingesetzt sind, sieht § 2094 Abs. 1 S. 2 BGB vor, dass die Anwachsung zunächst unter ihnen eintritt.
Die Rechtsfigur der Anwachsung beruht auf der Annahme, dass der Erblasser, der durch eine Erbeinsetzung über seinen gesamten Nachlass verfügt hat, seine gesetzlichen Erben in jedem Fall ausschließen wollte und bei Wegfall einer der eingesetzten Personen deren Anteil am Nachlass dann den anderen eingesetzten Personen und nicht etwa den enterbten Verwandten zukommen lassen werde.
II. Voraussetzungen der Anwachsung
Rz. 79
Die Anwendung des § 2094 BGB setzt eine Aufteilung des gesamten Nachlasses durch den Erblasser voraus. Falls die Erbeinsetzung nur eine teilweise Verfügung über die Erbschaft darstellt, tritt gemäß § 2094 Abs. 2 BGB die Anwachsung nur ein, wenn die Testamentserben auf einen gemeinschaftlichen Erbteil gemäß § 2093 BGB eingesetzt wurden.
Rz. 80
Weiterhin muss ein Miterbe "weggefallen" sein. Hierfür gelten die gleichen Kriterien wie bei der Ersatzerbfolge, nach der h.M. aber mit Ausnahme der anfänglichen Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der Erbeinsetzung sowie den Widerruf derselben, da hierdurch die Vermutung erschüttert wird, der Erblasser habe abschließend und vollständig verfügen wollen und daher solle eine Anwachsung nicht stattfinden.
Rz. 81
Gemäß § 2094 Abs. 3 BGB kann der Erblasser die Anwachsung allgemein oder nur hinsichtlich einzelner Miterben ausschließen. Ein solcher Anwachsungsausschluss liegt auch dann vor, wenn einer der Miterben "auf den Pflichtteil eingesetzt" wird. Die Beweislast für den Anwachsungsausschluss trägt grundsätzlich derjenige, der sich darauf beruft.
Will der Erblasser bestimmte Personen nur geringfügig bedenken und sollen diese im Falle des Wegfalls eines Miterben nicht mehr erhalten, dann sollte er eine Anwachsung bezüglich dieser Bedachten ausdrücklich ausschließen.
Rz. 82
Die wohl wichtigste Voraussetzung für die Anwachsung – gerade im Hinblick auf die hypothetische Ersatzerbenbestimmung – ist, dass keine Ersatzerbenregelung getroffen wurde. Gemäß § 2099 BGB hat die Ersatzerbenregelung Vorrang vor der Anwachsung.