1. Die Ersatzerbenberufung durch ergänzende Testamentsauslegung
Rz. 60
Hat der Erblasser den Wegfall des zunächst Bedachten nicht berücksichtigt, dann ist durch (ergänzende) Auslegung zu ermitteln, wie der Erblasser unter Berücksichtigung eines Wegfalls testiert hätte. Ist ein Wille im Wege der individuellen Auslegung nicht möglich, so kann die gesetzliche Auslegungsregel des § 2069 BGB angewandt werden. Dabei kann die Auslegung ergeben, dass die Vermutungsregelung des § 2069 BGB ausgeschlossen ist, weil der Erblasser in seinem Testament ausdrücklich verfügt hat, einen Ersatzerben nicht bestimmen zu wollen. Andererseits schließt bspw. die Formulierung "Ersatzerben will ich heute ausdrücklich nicht benennen" nicht die Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB aus, wenn ein widersprechender Erblasserwille nicht feststellbar ist.
2. Die Auslegungsregel des § 2069 BGB
Rz. 61
Die Auslegungsregel des § 2069 BGB stellt die gesetzliche Vermutung auf, dass für den Fall, dass der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht hat und dieser nach der Errichtung des Testaments weggefallen ist, im Zweifel anzunehmen ist, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sein sollen, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden. Als Abkömmling gilt, wer vom Erblasser in gerader Linie abstammt – also die Kinder, Enkel und Urenkel. Unumstritten ist, dass auch nichteheliche bzw. adoptierte Kinder als "Abkömmlinge" im Sinne der Vorschrift anzusehen sind. Streitig ist aber, ob diese auch als erstberufene Abkömmlinge gelten.
Rz. 62
Falls der Erblasser eine entsprechende Vermutung gerade nicht wünscht, ist ihm zu empfehlen, nichteheliche bzw. adoptierte Kinder bei der Ersatzerbenberufung in der letztwilligen Verfügung ausdrücklich auszuschließen. Wie wichtig eine Ersatzerbenbestimmung letztlich sein kann, zeigt auch die Entscheidung des BGH und des BayObLG, wonach eine Wechselbezüglichkeit einer Schlusserbeneinsetzung in einem gemeinschaftlichen Testament nicht auf die Vermutungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB gestützt werden kann, wenn die Ersatzerbeneinsetzung lediglich auf § 2069 BGB beruht.
Rz. 63
Muster 10.13: Ausschluss nichtehelicher oder adoptierter Abkömmlinge von der Ersatzerbenberufung
Muster 10.13: Ausschluss nichtehelicher oder adoptierter Abkömmlinge von der Ersatzerbenberufung
Für den Fall, dass einer der Erben vor oder nach dem Erbfall wegfällt, bestimme ich seine Abkömmlinge zu Ersatzerben. Ausgenommen von der Ersatzerbfolge und der Vermutungsregelung des § 2069 BGB sind nichteheliche und adoptierte Kinder und deren Abkömmlinge.
Rz. 64
Will der Erblasser in einem solchen Fall einen anderen (keinen Abkömmling) zum Ersatzerben berufen und insgesamt ausschließen, dass die Abkömmlinge seiner Kinder zu Ersatzerben ernannt werden, dann ist ein Ausschluss unter Hinweis auf die gesetzliche Vermutungsregel zu empfehlen.
Rz. 65
Muster 10.14: Ausschluss der Ersatzerbenvermutung nach § 2069 BGB
Muster 10.14: Ausschluss der Ersatzerbenvermutung nach § 2069 BGB
Fällt mein Sohn vor oder nach dem Erbfall weg, so bestimme ich entgegen jeder anderslautenden gesetzlichen oder richterlichen Auslegungs- oder Vermutungsregel _________________________, geb. am _________________________, wohnhaft in _________________________, zum Ersatzerben. Für die übrigen Miterben will ich ausdrücklich keine Ersatzerben bestimmen. Sollte einer von ihnen wegfallen, so soll entgegen jeder anderslautenden gesetzlichen oder richterlichen Auslegungs- oder Vermutungsregel ein Ersatzerbe nicht bestimmt werden, sondern unter den übrigen Miterben Anwachsung eintreten.
3. Die Auslegungsregel des § 2069 BGB und die Pflichtteilsgeltendmachung
Rz. 66
Höchst umstritten ist, ob ein "Wegfall" des Erstberufenen mit der Wirkung des Eintritts der vermuteten Ersatzerbenberufung gemäß § 2069 BGB vorliegt, wenn der Erstberufene die Erbschaft ausschlägt, um den Pflichtteil zu verlangen. Teilweise wird vertreten, dass hier weder bei der Erb- noch bei der Nacherbfolge ein Wegfall vorliege, da ohne erkennbare gegenteilige Ansicht des Erblassers nicht anzunehmen sei, dass dieser den Stamm des Ausschlagenden, der ja seinen Pflichtteil als Ersatzstück seines Erbrechts erhält, durch Aufrechterhaltung der Ersatzerbfolge doppelt berücksichtigen wollte. Eine andere Auffassung hält § 2069 BGB auch hier für anwendbar, da ein unbilliges Ergebnis dadurch vermieden werde, dass gemäß § 2320 BGB die nachrückenden Abkömmlinge im Innenverhältnis den Pflichtteilsanspruch des Ausschlagenden zu tragen haben. Zur Klarstellung bietet sich auch hier die Verwirkungsklausel an.
Rz. 67
Bei der Fallgestaltung, dass der Nacherbe vor Eintritt des Nacherbfalles ausschlägt, um seinen Pflichtteil vom Vorerben zu verlangen, spricht nach ...