Rz. 31

Unter dem Begriff des so genannten Schockschadens (auch als "Fernwirkungsschaden" bezeichnet) versteht man den konkreten Zustand einer seelischen Erschütterung, den ein bei einem Unfall nicht körperlich Verletzter durch das Miterleben des Unfalls, den Anblick der Unfallfolgen (unmittelbarer Schockschaden) oder durch die Nachricht vom unfallbedingten Tod oder der schweren Verletzung eines Angehörigen (mittelbarer Schockschaden) erleidet.

 

Rz. 32

Die Ersatzfähigkeit psychischer Schäden setzt grundsätzlich eine eigene Beteiligung an dem Unfall voraus (vgl. § 9 Rdn 201 ff.). Hiervon gibt es allerdings eine Ausnahme: Rechtsprechung und Literatur billigen unter Hinweis auf die gesetzgeberische Grundentscheidung, "mittelbar" Geschädigten im Falle der Tötung die Ansprüche aus §§ 844, 845 zu gewähren, eine Schadensersatzpflicht im Ausnahmefall zu (BGHZ 93, 351, 355 = NJW 1985, 1390 ff.; KG NZV 1999, 329 ff.; Bamberger/Roth-Grüneberg, BGB 1. Aufl. 2003 vor § 249 Rn 37 ff.; Medicus, Die psychisch vermittelte Kausalität im Zivilrecht, JuS 2005, 289 ff.). Von der Rechtsprechung und Literatur wird jedoch gefordert, dass der Schock im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein muss. Schäden, die bei einem durchschnittlich Empfindenden eine entsprechende Erschütterung normalerweise nicht hervorrufen, sind nicht ersatzfähig.

 

Rz. 33

Keinerlei Ansprüche haben insoweit – auch bei Nachweis unfallkausaler psychischer Schäden – bloße Zeugen eines Unfalles ohne eigene enge persönliche Bindung zum Unfallopfer unabhängig davon, ob sie reine Zufallszeugen sind oder beruflich mit Unfällen zu tun haben (wie z.B. Polizisten, Feuerwehrleute, Notärzte, Sanitäter). Hier geht es grundsätzlich nur um das allgemeine Lebensrisiko bzw. das gesteigerte Berufsrisiko, sodass der Schutzzweck der Norm nicht erfüllt ist (Bischoff, zfs 2008, 125).

 

Rz. 34

Aus der Sicht eines durchschnittlich Empfindenden muss der Geschädigte aufgrund der übermittelten Umstände oder der unmittelbaren Eindrücke am Unfallort von einem gravierenden Schadensereignis oder akuter schwerer Gefahrenlage ausgehen dürfen (Oetker, in: MüKo, BGB, 4. Aufl. 2001, § 249 Rn 147). Diese müssen konkret zu einer seelischen Erschütterung führen. Die konkrete Vorschädigung und Überempfindlichkeit eines Geschädigten hingegen muss bei der Bewertung der Angemessenheit der Reaktion – anders als bei der Frage des Ursachenzusammenhangs i.S.d. conditio sine qua non – außer Betracht bleiben. Sie geht nicht zu Lasten des Schädigers (Oetker, a.a.O.).

a) Naher Angehöriger

 

Rz. 35

Ein Nervenschock, den ein Angehöriger des Geschädigten dadurch erleidet, dass er Augenzeuge des Unfalls war, wird dem Schädiger adäquat kausal zugerechnet, wenn die Gesundheitsverletzung echten Krankheitswert (BGH VersR 1996, 990; BGH VersR 1998, 201) hat (unmittelbarer Schockschaden). Zum Miterleben des Unfalltodes der Ehefrau und Mutter und den daraus resultierenden psychischen Störungen von Krankheitswert aus dem Schockerlebnis vgl. auch BGH zfs 2001, 305.

 

Rz. 36

Erleidet ein naher Angehöriger aus Aufregung über einen nicht allzu gravierenden Verkehrsunfall eine Gehirnblutung, so kann die Haftung der für den Unfall Verantwortlichen für die Folgen dieser Gesundheitsbeschädigung wegen fehlenden Zurechnungszusammenhangs ausgeschlossen sein (OLG Nürnberg DAR 2006, 635).

 

Rz. 37

Ein Schlaganfall eines nahen Angehörigen ist dem Schädiger nicht zurechenbar, wenn die Unfallmitteilung und das Geschehen am Unfallort selbst – und damit der erlittene Schlaganfall – dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen sind und keine außergewöhnliche unfallbedingte Belastung für den Angehörigen bedeuteten. Der durch den Schock erlittene Schlaganfall eines nahen Angehörigen ist als psychisch vermittelte organische Verletzung grundsätzlich ersatzfähiger eigener Gesundheitsschaden und nicht Drittschaden. Die Zurechnung solcher Schäden scheitert grundsätzlich auch nicht daran, dass der Verletzte infolge einer körperlichen Disposition besonders anfällig für den eingetretenen Schaden ist; denn der Schädiger hat keinen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als habe er einen bis dahin Gesunden verletzt (BGH MDR 2000, 267; KG NZV 2003, 328, 329).

 

Rz. 38

Die Kausalitätsfeststellung im Sinne eines logischen Bedingungszusammenhangs muss in den Fällen psychisch vermittelter Kausalität aber durch eine wertende Betrachtungsweise einschränkend korrigiert werden (OLG Nürnberg DAR 2006, 635).

 

Rz. 39

Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Grundsätze kann der Schlaganfall eines Angehörigen nicht zugerechnet werden, wenn sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angehörige durch die Bitte, an den Unfallort zu kommen, Anlass hatte, etwa von einer lebensbedrohenden Situation auszugehen. Das ist z.B. der Fall, wenn nach dem Eintreffen des Angehörigen an der Unfallstelle sich kein Bild außergewöhnlicher Dramatik oder schwerer Gefahrenlage bot, das Anlass zu außergewöhnlicher Beunruhigung gegeben hätte (OLG Nürnberg a.a.O.).

 

Rz. 40

Aber auch ein so genannter Fernwirkungsschockschaden kann...

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