Rz. 122
Nimmt die Witwe nach dem Tod ihres Mannes tatsächlich wieder eine berufliche Tätigkeit auf, ist das dadurch erzielte Einkommen im Wege des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen.
Rz. 123
Nimmt die Witwe keine berufliche Tätigkeit auf, obwohl sie dazu persönlich und tatsächlich in der Lage und es ihr zumutbar wäre, verstößt sie u.U. gegen ihre Schadensminderungspflicht. Nach ständiger Rspr. kann einer jungen, kinderlosen, arbeitsfähigen Witwe im Regelfall zugemutet werden, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Unterlässt sie dies, kann der Schädiger ihr einen Verstoß gegen Treu und Glauben entgegenhalten (BGHZ 4, 170, 174; BGHZ 91, 357, 363; BGH VersR 1962, 1086, 1088; BGH VersR 1974, 142; BGH VersR 1976, 877, 878; BGH DAR 2007, 141 f.). Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht kann auch dann zu bejahen sein, wenn die Witwe sich nicht in zumutbarer Weise um eine Arbeitsstelle bemüht und nach Lage der Dinge anzunehmen ist, dass sie bei hinreichendem Bemühen eine Arbeitsstelle gefunden hätte. Grundsätzlich ist der Schädiger für das Vorliegen eines Mitverschuldens und eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht darlegungs- und beweispflichtig (BGHZ 91, 357, 369; BGH VersR 1979, 424, 425; BGH VersR 1991, 437, 438; BGH DAR 2007, 141 f.). Der Geschädigte muss aber andererseits, soweit es um Umstände aus seiner Sphäre geht, an der Sachaufklärung mitwirken und erforderlichenfalls darlegen, was er zur Schadensminderung unternommen hat (BGHZ 91, 243, 259 f.; BGH DAR 1996, 144; BGH DAR 1998, 472; BGH DAR 2007, 141 f.).
Rz. 124
Ob eine Arbeitspflicht besteht, richtet sich nach Alter, Leistungsfähigkeit, sonstigen Lebensverhältnissen, früherer Erwerbstätigkeit und Ausbildung des überlebenden Ehegatten. Bei einer seit einigen Jahren arbeitslos gemeldeten Witwe mittleren Alters (um die 50 Jahre) bestehen schon aufgrund ihres Alters und der Dauer der Arbeitslosigkeit keine hinreichend erfolgversprechenden Aussichten, eine neue Arbeit aufnehmen zu können, sodass mit dieser Begründung eine Minderung des Schadensersatzanspruchs nicht möglich ist (OLG Brandenburg zfs 1999, 330).
Rz. 125
Die Zumutbarkeit wird wesentlich auch durch die soziale Stellung bestimmt: Einer 40-jährigen Chefarztgattin dürfte es wohl nicht zumutbar sein, nach dem Tode ihres Mannes in ihrem früheren Beruf als Krankenschwester arbeiten zu müssen.
Rz. 126
Wenn jedoch Zumutbarkeit gegeben ist, dann ist ein – fiktives – Einkommen dagegen zu rechnen. Eine solche Arbeitspflicht dürfte regelmäßig jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn die Witwe jung und kinderlos ist und über eine Berufsausbildung verfügt, die es ihr auf dem konkreten Arbeitsmarkt ermöglicht, eine Anstellung zu finden.
Rz. 127
Kann sie jedoch nachweisen, dass es ihr trotz aller diesbezüglichen Bemühungen nicht gelungen ist, eine adäquate Anstellung zu finden oder ihr die angebotenen Tätigkeiten nicht zumutbar seien, unterbleibt eine Anrechnung zu ihren Lasten.
Rz. 128
Verliert die unterhaltsberechtigte Witwe ihren Arbeitsplatz und bezieht sie Arbeitslosengeld II, ist dies unterhaltsrechtlich nicht als ihr Einkommen zu behandeln. Diese Leistungen werden nur subsidiär gewährt und Vorleistungen nach Überleitung des entsprechenden Unterhaltsanspruchs vom Unterhaltsverpflichteten zurückgefordert (OLG Brandenburg zfs 1999, 330).
Rz. 129
Einige Versicherer sind inzwischen dazu übergegangen, eine regelrechte Arbeitsvermittlung für nicht- oder schwervermittelbare Witwen zu betreiben. In diesem Zusammenhang ist also besonders gründlich die Zumutbarkeit der auf diese Art angebotenen Arbeit zu prüfen.
Rz. 130
Sind minderjährige Kinder vorhanden, entfällt eine Arbeitsverpflichtung sicher bis zum 16. Lebensjahr des jüngsten Kindes. Anschließend kommt es auf die Bedingungen des Einzelfalles an.
Die Anrechnung erfolgt dann wie folgt:
Nettoeinkommen Ehemann |
2.500 EUR |
davon errechnete Unterhaltsquote Ehefrau 50 % |
1.250 EUR |
abzüglich erzieltes Nettoeinkommen Ehefrau |
– 500 EUR |
Rest-Unterhaltsanspruch gegenüber dem Schädiger |
750 EUR |
Rz. 131
Trifft den Getöteten eine Mithaftung, hat die Witwe eine Art "Quotenvorrecht" hinsichtlich ihrer eigenen Einkünfte (BGH VersR 1955, 275; 1967, 259; siehe auch Darstellung und Beispiel bei Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Auflage 2020, Rn 358).