1. Allgemeines
Rz. 80
Wird bei einem Unfall ein Mensch getötet, der anderen gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, haben die unterhaltsberechtigten Angehörigen einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihnen durch den Entzug des Unterhaltsrechts entsteht. Dieser – mittelbare – Schadensersatzanspruch ist in § 844 Abs. 2 BGB geregelt.
Rz. 81
Unterhaltsberechtigt sind alle Personen, denen der Getötete zum Unfallzeitpunkt gesetzlich unterhaltsverpflichtet war, als da sind: Ehegatten (§ 1360 BGB), auch wenn sie getrennt leben, auch nach der Scheidung (§ 1570 BGB), und sämtliche Abkömmlinge (eheliche gem. §§ 1600, 1601 BGB, nicht-eheliche gem. § 1615a BGB, adoptierte gem. § 1754 BGB und auch noch nicht geborene, aber zum Unfallzeitpunkt bereits gezeugte Kinder gem. § 1844 Abs. 2 S. 2 BGB).
Rz. 82
Auch Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft nach dem LPartG sind unterhaltsberechtigt, nicht jedoch Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Die Ersatzpflicht nach § 845 BGB setzt die gesetzliche Verpflichtung des Verletzten oder Getöteten zum Dienst im Haus oder Gewerbebetrieb des Anspruchstellers voraus. Der Anwendungsbereich der Norm ist auf den Wegfall der von Kindern gemäß § 1619 BGB gegenüber ihren Eltern geschuldeten Dienste beschränkt. Anderweitige Dienstverpflichtungen kennt das Familienrecht nicht mehr. Für die nichteheliche Lebensgemeinschaft verbleibt so kein denkbarer Anwendungsbereich, eine vertraglich vereinbarte Verpflichtung zur Diensterbringung genügt nicht (Schirmer, DAR 2007, 11).
Rz. 83
In eingeschränktem Rahmen sind auch geschiedene Ehegatten (§ 1570 BGB) unterhaltsberechtigt, ferner Verwandte in gerader Linie (§§ 1601 ff. BGB), also insbesondere Kinder gegenüber ihren Eltern und umgekehrt.
Rz. 84
Der Anspruch kann eingeschränkt werden, wenn eine Erwerbstätigkeitsverpflichtung des (Ehe-) Partners besteht. Das ist aber nur bei zumutbarer Tätigkeit der Fall. Dabei sind die Persönlichkeit des Verwitweten, dessen bisherige Erwerbsstellung sowie die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, aber auch die Dauer der Ehe zu berücksichtigen (BGH VersR 1976, 877; VersR 1984, 936). Ferner kommt es darauf an, ob betreuungsbedürftige Kinder vorhanden sind.
Rz. 85
Für das Bestehen der gesetzlichen Unterhaltspflicht kommt es allein auf den Zeitpunkt der Verletzung an, nicht auf den Todeszeitpunkt, wenn dieser – ggf. sehr viel – später eintritt. Eine nach der Verletzung geschlossene Ehe führt damit nicht zu einem Unterhaltsschaden, wenn der verletzte Ehegatte danach verstirbt. Eine nach der Verletzung, aber vor dem Todeseintritt ausgesprochene Scheidung der Ehe berührt den Unterhaltsanspruch dem Grunde nach ebenfalls nicht. Mehrere Unterhaltsberechtigte sind Teilgläubiger (Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Auflage 2020, Rn 340).
Rz. 86
Der Anspruch ist für die mutmaßliche Lebensdauer des Unterhaltsverpflichteten zu leisten, längstens jedoch für die Dauer der Unterhaltsbedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten. Der Anspruch endet darüber hinaus bei Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten oder Erlangung einer eigenen Lebensstellung des Kindes. Bei Scheidung bzw. Wegfall der eigenständigen Lebensstellung des Kindes lebt der Anspruch wieder auf.
Tipp
Deshalb sollte dieser Aspekt stets mittels Vorbehalts in einer Abfindungserklärung oder Feststellungsklage gesichert werden!
Rz. 87
Spätestens endet der Anspruch mit dem mutmaßlichen Tod des Verpflichteten. Die mutmaßliche Lebensdauer des Unterhaltsverpflichteten kann den allgemeinen Sterbetafeln entnommen werden (siehe Küppersbusch/Höher, 13. Auflage 2020, Rn 391, Anhang Kapitalisierungstabellen, Tabelle IV).
Rz. 88
Eine bloße Scheidungsabsicht reicht für das Ende des Unterhaltsschadens nicht aus. Bei bereits erhobenem Scheidungsantrag wird aber regelmäßig nur für die prognostizierte Dauer des Scheidungsverfahrens Ersatz des Unterhaltsschadens zu leisten sein (Böhme/Biela/Tomson, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 26. Auflage 2018, Rn D 250).
Rz. 89
Maßgeblich ist der gesetzlich geschuldete, nicht der tatsächlich geleistete Unterhalt. Auf die tatsächliche wirtschaftliche und persönliche Leistungsfähigkeit oder Leistungsbereitschaft des Getöteten kommt es also nicht an.
Rz. 90
Eine Ausnahme kann vorliegen, wenn der Getötete nicht nur leistungsunwillig, sondern auch tatsächlich völlig unpfändbar war. Dann liegt unfallbedingt kein Schaden für die Hinterbliebenen vor und der Ersatzanspruch entfällt. Für die Frage der Realisierbarkeit kann sich der Unterhaltsberechtigte auf die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO berufen.
Rz. 91
Der Umfang des Ersatzanspruchs richtet sich nach §§ 1360, 1360a Abs. 1 bzw. §§ 602, 1602 Abs. 2, 1610 BGB. Danach ist angemessener Unterhalt zu leisten, also alles, was Ehegatten untereinander und Kinder zum Bestreiten ihres persönlichen Lebensunterhaltes benötigen. Bemessungskriterien sind stets die konkreten Verhältnisse der Familie aufgrund der Lebensstellung (erlernter und ausgeübter Beruf) und des Lebensstils.
Rz. 92
Der ...