I. Einleitung
1. Problemlage
Rz. 27
Lebzeitige Übertragungen können ein Teil der Nachlassgestaltung sein oder auch unabhängig davon erbrechtliche Bedeutung haben. Grundsätzlich darf jedermann über sein Vermögen beliebig verfügen. Diese Freiheit kann aber auf zwei Arten beschränkt werden: Der potentielle Erblasser kann sich zum einen selbst durch ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag binden (vgl. § 2287 BGB). Zum anderen können bei mehr als einem Abkömmling Ausgleichspflichten entstehen (§§ 2050 ff., 2316 BGB, vgl. § 7) und die Existenz von Pflichtteilsberechtigten kann zur Beachtung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen zwingen (§§ 2325 ff. BGB). Dabei ist die Beschränkung des zukünftigen Erblassers indirekt. Er kann durchaus trotz eines bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testaments unentgeltlich über sein Vermögen verfügen und etwa von mehreren Abkömmlingen einen bevorzugen. Erst nach dem Erbfall können sich Berechtigte und Bedachte über einen Ausgleich streiten. Der Mandant, der sich im Rahmen der Nachlassgestaltung oder für eine lebzeitige Verfügung beraten lässt, wird aber solche Konflikte gerade vermeiden wollen. Die Aufgabe des Rechtsanwalts oder Notars ist es dann, vorausschauend zu beraten.
Problematisch sind dabei regelmäßig teilweise und vollständig unentgeltliche Übertragungen. Sobald der Erblasser eine adäquate Gegenleistung erhält, scheiden Ausgleichs- und Pflichtteilsergänzungsansprüche aus.
Von den verschiedenen bei lebzeitigen Verfügungen erbrechtlich bedeutsamen Fragen sind mit Blick auf die Erbengemeinschaft typischerweise die Ausgleichsansprüche relevant (siehe § 7). Aber auch Pflichtteilsansprüche können für eine Erbengemeinschaft erheblich belastend sein. Auf die Möglichkeiten lebzeitiger Regelungen etwa durch einen Verzicht soll hier eingegangen werden, da mit ihnen weite Gestaltungsspielräume geschaffen werden, um eine Erbengemeinschaft zu vermeiden oder zumindest dem Entstehen von Konflikten vorzubeugen.
2. Motivationen für lebzeitige Übertragungen
Rz. 28
Ein vorausschauender Unternehmer wird schon früh an den Fortbestand seiner Firma in der Zeit denken, in der er sie nicht mehr leiten kann oder möchte. Ihm werden die eigene und die Versorgung des Ehegatten, die Erhaltung des Betriebes und die Einbindung seiner Abkömmlinge, wie auch ein möglichst steuersparender Betriebsübergang wichtig sein. Auf diese besondere, komplexe Konstellation wird später eingegangen (siehe Rdn 130–132).
Rz. 29
Auch eine Stiftung zur Versorgung der Familie kann zu Lebzeiten gegründet werden, wobei dann eine Übertragung von Vermögen auf die Stiftung erfolgt. Auf diese Form der Gestaltung und die spezifischen Probleme im Zusammenhang mit der Erbengemeinschaft wird ebenfalls später näher eingegangen (siehe Rdn 133 f.).
Rz. 30
Bei im Wesentlichen "privates" Vermögen haltenden Mandanten stehen immer wieder steuerrechtliche Fragen im Vordergrund (siehe § 18). Aus Angst vor der Erbschaftsteuer soll etwa das in dem selbstgenutzten Eigenheim gebundene Vermögen auf die erwartungsfrohen Kinder übertragen werden. Die interessengerechte und damit richtige Vertretung besteht dann regelmäßig im Abraten von diesem Plan, denn bereits der Ausgangspunkt ist meist falsch: Eine erbschaftsteuerliche Belastung naher Angehöriger wird normalerweise schon durch die Freibeträge ausgeschlossen. Eine etwaig doch verbleibende Steuerforderung ist häufig gering und belastet schließlich die Erben und nicht die Mandanten.
Die Folgen einer Übertragung zu Lebzeiten widersprechen zudem den Interessen der Mandanten. Das zur Schenkung vorgesehene Vermögensgut bildet oft deren Versorgungsgrundlage oder zumindest einen Teil der Altersvorsorge. Dies sollte auch nicht in – augenblicklich – vertrauenswürdige Hände gegeben werden. Die oft ins Spiel gebrachten Vorbehaltsrechte wie der Nießbrauch ändern nichts an dem Übergang des Eigentums auf Dritte. Eine Veräußerung der Immobilie, um sich eine andere Versorgung zu ermöglichen, ist nur noch mit Zustimmung des "neuen" Eigentümers möglich. Die vertragliche Ausgestaltung ist aufwendig, die Umsetzung verursacht Kosten. Schließlich werden die steuerlichen Vorteile durch die aufwendige Gestaltung und andere Folgekosten (Abrechnungen, Steuererklärungen) oft stark gemindert oder sogar gänzlich aufgezehrt und führen zu einer negativen Bilanz des Übertragungsvorganges.
Zusätzliche Gefahren bilden die Weiterübertragung durch den Beschenkten, sein Vorversterben und seine Insolvenz einerseits und die Abhängigkeit des Schenkers von Sozialleistungen aufgrund von Pflegekosten andererseits, was zu – etwa von dem Betreuer des Schenkers durchgesetzten – Rückforderungsansprüchen führt. Selbstverständlich sind auch hier vertragliche Rückfall- bzw. -forderungsrechte denkbar. Sie erfordern allerdings eine aufwe...