Dr. iur. Maximilian von Proff zu Irnich
1. Generelle Wirksamkeit als Einzeltestament (Allheiltheorie, Mindermeinung)
Rz. 35
Eine vom Kammergericht in einem Beschl. v. 15.8.1972 und in der Literatur von Goßrau vertretene Allheiltheorie sieht den (untauglichen) Versuch eines gemeinschaftlichen Testaments durch Nichteheleute niemals als (unwirksames, aber möglicherweise durch Umdeutung "heilbares") gemeinschaftliche(s), sondern stets als Einzeltestament(e) an. Nach dieser Auffassung sind die Verfügungen, die in einer von Nichteheleuten mit dem Willen, gemeinschaftlich zu testieren, errichteten Erklärung enthalten sind, stets in wirksame einseitige Verfügungen umzuqualifizieren.
Rz. 36
Für die Allheiltheorie werden im Wesentlichen zwei Argumente vorgetragen. Goßrau hat folgenden "Gegenschluss" aus § 2265 BGB ("Ein gemeinschaftliches Testament kann nur von Ehegatten errichtet werden") gezogen: nur eine von Eheleuten errichtete letztwillige Verfügung könne begrifflich ein gemeinschaftliches Testament sein. Eine von Nichteheleuten errichtete Verfügung sei daher ausnahmslos Einzeltestament. Das Kammergericht stellt demgegenüber weniger auf einen in § 2265 BGB angeblich in persönlicher Hinsicht eingeschränkten Anwendungsbereich des gemeinschaftlichen Testaments als vielmehr auf den typischen (jedoch nicht begriffsnotwendigen) Inhalt des gemeinschaftlichen Testaments, die Wechselbezüglichkeit darin enthaltener Verfügungen der Erblasser ab. Das Wesen der Wechselbezüglichkeit bestehe, so das Kammergericht, lediglich in einem Zusammenhang des Motivs. Die in einem intendierten gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Verfügungen behielten ihre Eigenständigkeit als einzeltestamentarische Anordnungen. Der untaugliche Versuch, sie als wechselbezüglich zu gestalten, bliebe auf die Anordnungen ohne Auswirkung, es scheitere nur der Versuch, sie zu umklammern.
Rz. 37
Nach der Allheiltheorie kann der materiellen Wirksamkeit einer für sich genommen formwirksamen, d.h. im privatschriftlichen Testament vom Testator und nicht vom Partner, eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Verfügung, ein etwaiger gemeinschaftlicher Testierwillen niemals entgegenstehen, er ist unbeachtlich.
Rz. 38
Die Allheiltheorie sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie den Erblasserwillen zu missachten droht, der im Einzelfall durchaus darauf gerichtet sein kann, entweder mit für den Überlebenden bindender Wirkung zu testieren oder aber gar nicht. Sie hat sich daher zu Recht nicht durchgesetzt.
2. Generelle Unwirksamkeit (Mindermeinung)
Rz. 39
Die extreme Gegenposition zur Allheiltheorie wird durch das heute mit Blick auf den allein maßgeblichen Erblasserwillen zu Recht nicht mehr vertretene, vom Reichsgericht aufgestellte absolute Umdeutungsverbot markiert. Nach dieser Auffassung ist die vom Erblasser eigenhändig verfasste und von ihm und seiner Lebensgefährtin unterschriebene Erbeinsetzung der Partnerin selbst dann ein rechtliches Nullum, wenn der Erblasser sie bei Kenntnis des untauglichen Versuchs als einseitige letztwillige Verfügung aufrechterhalten wissen wollte.
3. Orientierung am angedeuteten Erblasserwillen (subjektive Andeutungstheorie, h.M.)
Rz. 40
Zu Recht wird der von Goßrau vorgeschlagene "Gegenschluss" aus § 2265 BGB von der h.M. nicht gezogen. Indem diese Vorschrift das gemeinschaftliche Testament Ehegatten vorbehält, erlaubt sie nicht die Schlussfolgerung, dass eine von Nichtehegatten errichtete letztwillige Verfügung stets ein Einzeltestament sei. § 2265 BGB enthält vielmehr ein Formverbot des ...