Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 69
Am 1.1.2002 ist das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts in Kraft getreten. Mit der Reform wurde das Verjährungsrecht, das Recht der Leistungsstörungen, das Kaufrecht und das Werkvertragsrecht grundlegend überarbeitet und umfassend modernisiert. Zahlreiche Sondergesetze wurden in das BGB integriert, wie beispielsweise das AGB-Gesetz, das Fernabsatzgesetz, das Haustürwiderrufsgesetz, das Verbraucherkreditgesetz und das Teilzeit-Wohnrechtegesetz. Auch von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitute, insbesondere das der sog. positiven Forderungsverletzung (oder synonym: positiven Vertragsverletzung – pVV) sowie das Rechtsinstitut des Verschuldens beim Vertragsschluss (synonym: culpa in contrahendo, c.i.c.) und das des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wurden im BGB aufgenommen. Zugleich wurden verschiedene europäische Richtlinien umgesetzt. Da die gesetzlichen Regelungen auf der Entwicklung in der Rechtsprechung aufbauen, ohne ihr allerdings Grenzen setzen zu wollen, kann für die Auslegung weiterhin auf die bis dahin ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.
Rz. 70
Unter den Begriff der positiven Vertragsverletzung (pVV) fielen alle Pflichtverletzungen im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses, die weder Unmöglichkeit noch Verzug herbeiführen und deren Rechtsfolgen nicht von den Gewährleistungsvorschriften erfasst werden; als Haupttypen der pVV wurden "Schlechtleistung" und "Verletzung von Nebenpflichten" unterschieden. Indem der ungeschriebene Tatbestand der pVV durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz in § 280 BGB n.F. aufgenommen wurde, ist die frühere Gesetzeslücke des Leistungsstörungsrechts geschlossen; gelegentlich wird auch in der jüngeren Rechtsprechung der Begriff der positiven Vertragsverletzung bzw. positiven Forderungsverletzung noch weiter verwendet und darauf hingewiesen, dass der damit gemeinte Tatbestand nunmehr von § 280 BGB erfasst wird.
Rz. 71
Die Schadensersatzregeln des Leistungsstörungsrechts bauen auf § 280 Abs. 1 BGB als einheitlichem Haftungstatbestand auf. Auch Unmöglichkeit und Verzug werden von § 280 BGB erfasst, wobei sich ergänzende Regelungen in § 283 BGB und § 286 BGB finden. § 280 BGB gilt für sämtliche Verträge, für nachvertragliche Pflichten, für vertragsähnliche Sonderverbindungen und für gesetzliche Schuldverhältnisse. § 280 BGB genügt als Schadensersatznorm dann, wenn "einfacher" Schadensersatz verlangt wird. Musterbeispiel ist der Ersatz des Schadens, den sich ein potenzieller Käufer beim Betreten eines Warenhauses zuzieht, wenn er auf einer Bananenschale ausgerutscht ist (vgl. dazu auch unten Rdn 74 und Rdn 99 f.). Soll dagegen nicht nur einfacher Schadensersatz, sondern "Schadensersatz statt der Leistung" (früher: Schadensersatz wegen Nichterfüllung) beansprucht werden, so müssen zusätzliche Voraussetzungen hinzutreten, die in § 281 BGB bis § 283 BGB geregelt sind. Diese zusätzlichen Bedingungen unterscheiden nach den jeweils einschlägigen Fallkonstellation: So ist Schadensersatz statt der Leistung für die praktisch wichtigsten Leistungsstörungen wie Verzug und Schlechterfüllung in § 281 BGB, für die Unmöglichkeit in § 283 BGB und für die Verletzung einer sonstigen, nicht leistungsbezogenen Nebenpflicht in § 282 BGB geregelt. Schadensersatz statt der Leistung setzt in den Fällen des Verzugs und der Schlechtleistung gem. § 281 BGB in der Regel voraus, dass dem Schuldner zuvor vergeblich eine angemessene Frist zur Leistung bzw. Nacherfüllung gesetzt worden ist. Daneben ist Verschulden erforderlich. Generell gilt allerdings, dass das Verschulden des Schuldners bei feststehender Pflichtverletzung (widerleglich) vermutet wird (vgl. dazu unten Rdn 75). Die Vorschriften §§ 280–288 BGB regeln sämtliche Fälle des Schadensersatzes. Es gibt also keine besonderen Vorschriften mehr über den Schadensersatz wegen Nichterfüllung bei gegenseitigen im Vergleich zu einseitig verpflichtenden Verträgen.