Stephan Kohlhaas, Phillip Hartmann
Rz. 76
Der von einem geschädigten Mandanten beauftragte Anwalt muss sich im Rahmen der Übernahme eines entsprechenden Schadensersatzmandats über die Frage der Pflichtverletzung durch seinen Vorgänger hinaus damit auseinandersetzen, wer konkret Anspruchsgegner ist. Einen falschen Beklagten oder nicht alle Haftenden in Anspruch zu nehmen, führt in der Regel zu einem (späteren) eigenen Regressfall. Unproblematisch ist der Haftungsadressat bei der Einzelkanzlei. Die Haftung von Sozien und Sozietäten, noch zumal wenn sie interprofessionell sind, fordert höchste Aufmerksamkeit und eine genaue Beobachtung der Entwicklung der Rechtsprechung zu den Neuregelungen des MoPeG.
Rz. 77
In der Einzelkanzlei haftet selbstverständlich der Rechtsanwalt als Inhaber der Kanzlei und alleiniger Auftragnehmer, auch für die Fehler seiner Erfüllungsgehilfen (= Mitarbeiter der Kanzlei) gem. § 278 BGB.
Rz. 78
Übernimmt die Sozietät/GbR ein Mandat, haftet die Sozietät als Rechtsperson, da sie als rechtsfähige Gesellschaft Vertragspartner des Mandanten wird. Daneben haften grundsätzlich alle Sozien persönlich auf Schadensersatz (akzessorisch) für die von einem Sozius oder mehreren anderen Sozien begangene Pflichtverletzung, § 721 BGB.
Diese persönlich weitreichende "Sozienhaftung" tritt nicht nur dann ein, wenn ein Gesellschafter (echter Sozius) fehlerhaft gehandelt hat, sondern auch für den Fall der Pflichtverletzung eines sog. Scheinsozius ("Scheingesellschafter"). Von einem Scheinsozius spricht man, wenn der betreffende Berufsangehörige nicht Gesellschafter ist, sich aber wie ein solcher durch seinen Außenauftritt präsentiert. Maßgebliche Kriterien hierfür sind insbesondere dessen Nennung auf Briefbogen, Stempel, Kanzleischild und ggf. im Internetauftritt wie ein echter Sozius/Gesellschafter. In der Regel nicht hierunter fällt die sog. "Kooperation", soweit diese deutlich als solche nach außen gekennzeichnet ist. Es kommt für die Frage der entsprechenden Einordnung ausschließlich auf die Sicht eines außenstehenden Dritten an. Ohne rechtliche Bedeutung für die Haftung ist – abgesehen von besonderen Fällen, z.B. der Kooperation – das Innenverhältnis des betreffenden "Scheinsozius" zu seinen weiteren (Schein-)Sozien (Angestellter, freier Mitarbeiter usw.).
Die zuvor beschriebene Haftung von Scheinsozien kommt auch in Betracht in Fällen der deliktischen Haftung.
Die solidarische Mithaftung von Scheinsozien entfällt allerdings bei anwaltsuntypischen Tätigkeiten, z.B. im Hinblick auf Gesellschaftsverbindlichkeiten jeder Art zum Betrieb der Kanzlei oder auch für berufsuntypische Tätigkeiten eines Anwalts in der Kanzlei, denn die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, auf denen die Konstruktion der Scheinsozietät beruht, finden nur auf Tätigkeiten aus einem Mandatsverhältnis Anwendung. Auf sonstige Geschäfte des Scheinsozius im Namen der Sozietät ist eine Rechtsscheinhaftung nicht anwendbar, wie z.B. dann, wenn es dem Mandanten bei Abschluss eines Treuhandvertrages nur auf die reine Vermögensbetreuung, und nicht auf die Rechtsberatung ankam.
Weitergehend zur Haftung von neu in die GbR eingetretenen Scheinsozien für Altverbindlichkeiten weiter unten (siehe Rdn 83).
Rz. 79
Was die Haftung von in die GbR neu eingetretene und ausgeschiedene Sozien anbelangt, ist durch das am 1.1.2024 in Kraft getretene MoPEG im Wesentlichen die bisherige Rechtsprechung kodifiziert worden.
Das vom BGH in der Folge der Annahme der Rechtsfähigkeit der GbR übernommene strenge, akzessorische Haftungsmodell der OHG (§§ 126–128 HGB n.F.) ist durch das MoPeG kodifiziert worden, indem es die betreffenden Paragrafen des OHG-Rechts in das BGB kopiert (vgl. §§ 721–721b BGB n.F.).
Die Gesetzesbegründung zum MoPeG hat die bisweilen an der strengen Haftung der GbR-Gesellschafter geübte Kritik aufgegriffen, indem sie den Weg zu Haftungsbeschränkungen weist: Bei erwiesener Unangemessenheit der unbeschränkten Gesellschafterhaftung aufgrund einer "umfassenden Abwägung" der Interessen von Gesellschaftern und Gläubigern könne auf "andere adäquate Haftungsmodelle" zurückgegriffen werden. Ein solches Modell ist laut Begründung u.a. die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen mit daneben bestehender Handelndenhaftung (analog § 54 BGB). Da genau dies durch die Spezialnorm des § 52 Abs. 2 BRAO bei der anwaltlichen Berufshaftung ausdrücklich ermöglicht wird, dürfte dieser Weg – neben der summenmäßigen Haftungsbegrenzung gem. § 52 Abs. 1 BRAO – der einzige zur Haftungsbeschränkung bleiben, der für Rechtsanwälte zulässig ist.
Nach früher geltendem Recht (§ 736 Abs. 2 BGB a.F. i.V.m. § 160 HGB a.F.) haftete ein ausgeschiedener Gesellschafter für die Dauer von fünf Jahren für die Verbindlichkeiten der GbR fort. Bei dieser Nachhaftung ist es nach Inkrafttreten des MoPeG geblieben, doch werden davon Schadensersatzforderungen ausgenommen, wenn die zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung erst nach dem Ausscheiden des Gesellschafte...