Stephan Kohlhaas, Phillip Hartmann
Rz. 23
Ohne eine sorgfältige Aufklärung des Sachverhalts ist die von der Rechtsprechung geforderte erschöpfende Beratung und Belehrung des Mandanten nicht möglich. Die umfassende Aufklärung des Sachverhalts sollte für den Anwalt erste Priorität sein, wird aber immer wieder vernachlässigt und ist deshalb häufiger Ursache für Regressansprüche gegen den Anwalt. Die relevante Rechtsprüfungs- und Rechtsberatungspflicht setzt genaue Sachverhaltskenntnis des Anwalts voraus. Um die Aufklärung muss sich der Anwalt persönlich kümmern; eine Delegation auf Mitarbeiter entlastet den Anwalt nicht.
Rz. 24
Hinweis
Rechtskenntnis hilft dem Mandanten nur, wenn sie auf den zutreffenden Sachverhalt angewandt wird.
Rz. 25
Grundsätzlich hat der Mandant dem Anwalt sämtliche Tatsachen, Hintergründe und Motive zu schildern, die dem Anwalt eine rechtlich umfassende Beratung ermöglichen. Relativiert wird dies durch die zwingende Nachfragepflicht des Anwalts, da der durchschnittliche Mandant in der Regel nicht überblicken kann, welche Tatsachen für die umfassende Beurteilung maßgeblich sind. In Rechtsprechung und Literatur besteht demgemäß Einigkeit, dass der Anwalt durch ergänzende Fragen auf eine umfassende Sachverhaltskenntnis und Auflösung von unschlüssigen Sachverhaltsdarstellungen hinarbeiten muss, bevor er die geforderte juristische Beurteilung vornimmt (siehe Rdn 26–29). Er muss von seinem Mandanten ggf. auch schriftliche Angaben verlangen, wenn es sich um einen derart komplexen Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht und damit folgerichtig auch in rechtlicher Hinsicht handelt und der Mandant nicht zu einer umfassenden, mündlichen Informationserteilung in der Lage ist.
Je komplexer der Sachverhalt, desto intensiver muss der Anwalt nachfragen und aufklären.
Bei der Klärung des Sachverhalts, der einer beabsichtigten Rechtsverfolgung oder auch einer rechtsgestaltenden Beratung zugrunde liegt, geht es für den Anwalt zwingend darum, die Ziele des Mandanten zu ergründen und sich die zur Zielerreichung notwendigen Informationen durch präzise Fragen zu beschaffen; diese Pflicht korrespondiert selbstverständlich wieder mit der Pflicht des Mandanten, den Anwalt auf seine Nachfragen hin umfassend und korrekt zu informieren.
Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH bleibt zur Sachverhaltsaufklärung somit festzuhalten, dass der mit der Prozessführung betraute Anwalt seinem Mandanten gegenüber verpflichtet ist, dafür einzutreten, dass die zugunsten des Mandanten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich ermittelt und berücksichtigt werden. Der BGH erkennt insofern an, dass dies mit "Rücksicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums" zu geschehen habe.
Hinweis
Zur grundsätzlichen Pflicht des Anwalts, das Gericht vor eigenen Rechtsirrtümern zu "schützen", d.h. diesen bei Gericht entgegenzuwirken bzw. vorzubeugen, vgl. die Ausführungen unten (siehe Rdn 39 f.).
Rz. 26
Auf die Angaben seines Mandanten darf der Anwalt im Regelfall auch uneingeschränkt vertrauen, wenn sie plausibel, eindeutig und nicht zweifelhaft sind.
Sobald die Angaben Anlass zu Zweifeln geben, weil sie widersprüchlich oder unklar sind und dazu ggf. noch Prognosecharakter haben, muss der Anwalt tiefer in die Aufklärung des Sachverhalts einsteigen müssen.
Beispiel
Die Mandanten waren Erben eines Gesellschafters, der zusammen mit seiner Gesellschaft gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen worden war. Im Innenverhältnis war die Gesellschaft verpflichtet, die Erben freizustellen. Es kam zum Prozess und zum Vergleich. Den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung suchte man dort später vergeblich. Der Anwalt hatte seinen Mandanten nämlich erklärt, dass ein solcher Vorbehalt dort nicht erforderlich sei; sein Argument: Es handele sich letztlich um eine Verpflichtung der Gesellschaft, und die sei nach den von den Mandanten erteilten Informationen solvent und könne die Verpflichtungen auch in Zukunft erfüllen.
Nachdem die Gesellschaft in Vermögensverfall geraten war, nahmen die Erben ihren Anwalt in Regress. Der Grundsatz, dass der Anwalt auf tatsächliche Angaben der Mandanten im Regelfall vertrauen darf, half ihm hier nicht weiter, denn dieser Grundsatz bezieht sich nur auf die „Schilderung eines gegenwärtigen oder vergangenen "Tatsachenablaufs", nicht jedoch auf eine wirtschaftliche Prognose.
Die Folge: Nach dem Grundsatz des sichersten Weges (vgl. hierzu auch Rdn 58) hätte der Anwalt seinen Mandanten raten müssen, in jedem Fall den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung zu erklären.
Der Anwalt darf im Übrigen nicht zwingend und in jedem Fall den Unterlagen des Mandanten vertrauen. Laut BGH gibt es keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass sich ein Anwalt immer und unter allen Umständen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit einer ihm vom Mandanten vorgelegten Urkunde verlassen darf.
Rz. 27
Nicht jedes Mandat...