Stephan Kohlhaas, Phillip Hartmann
Rz. 159
Die Vorwärtsversicherung deckt die Folgen aller anwaltlichen Versehen, die sich zwischen Beginn des Versicherungsschutzes bis zum Ablauf des Vertrages ereignen, auch wenn sie noch nicht bekannt sind.
Sie ist der Normalfall der Berufshaftpflichtversicherung, da Pflichtverletzungen (= Verstöße) in der Eigenschaft als Anwalt nur begangen werden können, nachdem die entsprechende Bestellung erfolgt ist.
Rz. 160
Demgegenüber bietet die Rückwärtsversicherung Deckung für in der Vergangenheit liegende anwaltliche Versehen. Solche Pflichtverletzungen sind nicht denkbar, wenn die betreffende Person noch gar nicht als Anwalt zugelassen war; denn erst mit der Zulassung beginnt die anwaltliche Berufsausübung.
Der Sinn einer Rückwärtsversicherung in der Berufshaftpflichtversicherung liegt im Wesentlichen darin, für die Vergangenheit noch den "Fehler" zu korrigieren, eine nicht angemessene, risikoadäquate Deckungssumme gewählt zu haben.
Um das Problem der unzureichenden Deckungssumme (vgl. Rdn 158) zu lösen, hätte der Anwalt im Beispielfall mit dem Versicherer B zum 1.1.2010 Folgendes vereinbaren müssen:
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Vorwärtsversicherung für Verstöße in der Zukunft mit einer Deckungssumme von 5 Mio. EUR, |
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Rückwärtsversicherung für Verstöße aus der Zeit vom 1.1.2008 bis zum 31.12.2009 mit einer Deckungssumme von 4 Mio. EUR im Anschluss an die vorhandene Deckung bei Versicherer A, der wegen des Verstoßprinzips ja weiterhin Deckung für den beschriebenen Fall mit bis zu 1 Mio. EUR zu bieten hat. |
Man nennt diese Art der Deckung Excedenten – Rückwärtsversicherung.
Rz. 161
Die Versicherer bieten eine Rückwärtsversicherung nur für Verstöße an, die bei deren Abschluss noch nicht bekannt sind.
Als bekannt gilt bedingungsgemäß – nach marktüblichen Standard – ein Verstoß, wenn ein Vorkommnis als nur möglicherweise objektiv fehlsam erkannt oder so bezeichnet worden ist. Es ist nicht erforderlich, dass Schadensersatzansprüche erhoben, angedroht oder befürchtet wurden (§ 2 II. AVB). Zwischenzeitlich hat der BGH klargestellt, dass "bekannt" positive Kenntnis und nicht nur Kennenmüssen voraussetzt.
Ungeachtet dessen hat der Versicherer im Zweifel den entsprechenden Nachweis zu führen.
Rz. 162
Das sog. Claims-Made-Prinzip kommt aus dem angelsächsischen Raum. Wie der Begriff deutlich macht, ist danach der Versicherungsfall die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs, der auf einer Pflichtverletzung beruht, die in dem versicherten Zeitraum begangen wurde (ungeachtet einer evtl. vereinbarten Rückwärtsversicherung, die auch beim Claims-Made-Prinzip vereinbart werden kann). Dieses Prinzip ist nur schwer zu vereinbaren mit den Anforderungen an einen zeitlich lückenlosen Pflichtversicherungsschutz; denn spätestens mit Ausscheiden aus dem Anwaltsberuf bzw. Rückgabe der Zulassung würde der Anwalt keine weitere Berufshaftpflichtversicherung mehr benötigen. Gleichwohl muss er wegen der beschriebenen Spätschadensituation (siehe oben Rdn 158 erster Absatz) noch Jahre später mit einer möglichen Inanspruchnahme aufgrund von Pflichtverletzungen aus seiner Zeit als zugelassener Anwalt rechnen. Seine Erben müssen als Rechtsnachfolger ggf. auch noch für dessen Fälle aus aktiver Zeit haften. Sie benötigen daher mindestens den Pflichtversicherungsschutz, den sie über das Verstoßprinzip unproblematisch erhalten. Über eine Claims-Made-Lösung wäre das gleiche Ergebnis nur zu erreichen, wenn der Versicherer eine zeitlich unbegrenzt nachlaufende Deckung akzeptiert.
Letztlich kommt man nicht umhin, festzustellen, dass das Claims-Made-Prinzip für die Pflichtversicherung einschließlich des Bereichs der Haftungssummen, die für eine wirksame Haftungsbegrenzung der Höhe nach zwingend sind, gem. § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO also bis zu 10 Mio. EUR, ungeeignet ist.
Rz. 163
Plant der Anwalt bzw. die Kanzlei (meist getrieben von Kostendruck) ein "Deckungssummensplitting" dergestalt, dass eine Versicherungssumme von insgesamt 10 Mio. EUR versichert wird – davon die unteren 5 Mio. EUR (Grunddeckung) auf Basis des Verstoßprinzips und darauf aufsetzend weitere 5 Mio. EUR (Excedent) auf Basis des Claims-Made-Prinzips –, läuft er ein hohes persönliches Risiko. Aufgrund der mangelnden Kompatibilität der beiden Prinzipien drohen elementare Deckungslücken, wenn der Claims-Made-Versicherer den Exzedenten z.B. nach einem Jahr nicht weiterführen will und den Vertrag daher nicht verlängert.
Macht nun nach Beendigung des Claims-Made-Exzedenten (5 Mio. EUR) der Mandant einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 10 Mio. EUR geltend wegen einer Pflichtverletzung, die vor der Beendigung des Exzedenten begangen wurde, hat der Anwalt bzw. die Kanzlei
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Deckungsschutz von 5 Mio. EUR aus der Grundversicherung – wegen des Verstoßprinzips; |
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keinen Deckungsschutz aus dem Claims-Made-Exzedenten, weil die Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Anwalt erst nach Beendigung des Vertrages erfolgt (ist). Versicherungsschutz zugunsten des Anwalts bzw. der Kanzlei besteht aber bei Anspruchserhebung während des... |