Stephan Kohlhaas, Phillip Hartmann
Rz. 139
Die Berufshaftpflichtversicherung deckt jeden fahrlässig begangenen Verstoß (Pflichtverletzung). Schäden, die der Versicherungsnehmer vorsätzlich herbeigeführt hat, sind nicht versichert, § 103 VVG. Gleichfalls nicht versichert sind grundsätzlich auch Schäden, die durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Mandanten sowie durch sonstige wissentliche Pflichtverletzungen verursacht worden sind (§ 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO, § 4 Ziff. 5 AVB).
Rz. 140
Nicht gedeckt sind lt. § 4 Ziff. 5 AVB Haftpflichtansprüche
Zitat
"wegen Schadenverursachung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Der Versicherungsnehmer behält, wenn dieser Ausschlussgrund nicht in seiner Person und auch nicht in der Person eines Sozius im Sinne des § 1 III vorliegt – unbeschadet der Bestimmungen des § 7 IV 2 – den Anspruch auf Versicherungsschutz. § 1 II bleibt unberührt."
Mitversichert ist der Abwehrschutz beim Vorwurf der wissentlichen Pflichtverletzung. Der Versicherungsschutz entfällt rückwirkend, wenn die wissentliche Pflichtverletzung rechtskräftig festgestellt wurde. Empfangene Leistungen sind zurückzugewähren.
Die wissentliche Pflichtverletzung erfordert direkten Vorsatz (dolus directus) hinsichtlich der verletzten Pflicht; den Schaden selbst braucht der Anwalt nicht herbeiführen zu wollen. Unerheblich ist auch, ob er ihn ggf. billigend in Kauf genommen hat oder nicht. Wissentlich handelt, wer in Kenntnis des korrekten Verhaltens bewusst gegen verbindliche, nicht zwingend konkret definierte Verhaltensweisen verstößt. Dabei kann auch der Verstoß gegen elementare Regeln, z.B. des Berufsrechts zur Annahme eines wissentlich pflichtwidrigen Handelns führen, allerdings nach OLG Stuttgart nicht, wenn "nur" gegen Bestimmungen zur Errichtung und Regelung eines gefahrlosen Betriebs verstoßen werde.
Altruistische Motive, wie die Vorstellung des Anwalts, er handele im wohlverstandenen Interesse des Mandanten, oder die Annahme, es werde kein Schaden entstehen, sind für die Frage der Wissentlichkeit ohne Belang; wohl aber muss der bewusste Pflichtenverstoß für den eingetretenen Schaden adäquat kausal sein. Im Unterschied zum Vorsatztatbestand gem. § 103 VVG muss der Anwalt also auch nicht den schädigenden Erfolg als möglich vorhergesehen und billigend in Kauf (dolus eventualis) genommen haben. Die Darlegungs- und Beweislast für die Erfüllung der Voraussetzungen dieses Ausschlusstatbestandes liegt beim Versicherer.
Der Ausschluss des Versicherungsschutzes wegen wissentlicher Pflichtverletzung spielt in der Schadenpraxis der Versicherer eine durchaus gewichtige Rolle, wenngleich diesem Ausschluss etwas an Schärfe dadurch genommen ist, dass die Versicherungsbedingungen in der Regel vorsehen, dass der Versicherer dem Anwalt Abwehrschutz beim Vorwurf der wissentlichen Pflichtverletzung gewährt. Der Versicherungsschutz entfällt nur dann rückwirkend, wenn die wissentliche Pflichtverletzung rechtskräftig festgestellt wird. Empfangene Leistungen sind dann vom Anwalt zurückzugewähren.
Da die äußeren Umstände häufig eine Pflichtverletzung indizieren, kann in besonders gelagerten Einzelfällen schon bei unsorgfältiger Arbeitsweise die Versicherungsleistung versagt werden.
Rz. 141
Abgrenzungsschwierigkeiten zur Fahrlässigkeit und daraus resultierende kontroverse Diskussionen sind allerdings nicht selten. Eindeutig ein Fall wissentlicher Pflichtverletzung liegt vor, wenn der Anwalt ein Mandat unbearbeitet lässt, weil er sich der zur Lösung anstehenden Rechtsfrage nicht gewachsen sieht und dem Mandanten dadurch ein Vermögensschaden entsteht. Ein unordentliches Büro allein berechtigt den Versicherer nicht, den Ausgleich des vom versicherten Anwalt angerichteten Schadens abzulehnen. Dem Anwalt kann eine wissentliche Pflichtverletzung nicht entgegen gehalten werden, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass er die drohende Verjährung lediglich aus den Augen verloren hat. Der Versicherer ist insoweit beweisbelastet.
Sprechen die äußeren Umstände allerdings dafür, dass der Anwalt ganz erheblich fundamentale Regeln außer Acht lässt, z.B. indem er mehrfach die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und entgegen der lokalen OLG-Praxis auf eine weitere Fristverlängerung vertraut, liegt lt. OLG Saarbrücken eine wissentliche Pflichtverletzung vor.
Weiteres Beispiel: Mehrmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – Vertrauen auf eine weitere Verlängerung – ist nur Hoffnung darauf, dass kein Schaden entstehen werde und demgemäß wissentliche Pflichtverletzung.
Nach OLG Düsseldorf handelt der Anwalt wissentlich pflichtwidrig, wenn er gegen fundamentale, allgemein geläufige Regeln in krassem Maße verstößt und dementsprechend über eine Indizienkette aus Art und Gewicht des Pflichtenverstoßes auf Wissentlichkeit geschlossen wird.
Das wissentlich...