Rz. 85

Der von einem geschädigten Mandanten beauftragte Anwalt muss sich im Rahmen der Übernahme eines entsprechenden Schadenersatzmandats über die Frage der Pflichtverletzung durch seinen Vorgänger hinaus unbedingt damit auseinandersetzen, wer konkret Anspruchsgegner ist. Einen falschen Beklagten oder nicht alle potenziell Haftenden in Anspruch zu nehmen, führt in der Regel zu einem (späteren) eigenen Regressfall. Unproblematisch ist der Haftungsadressat bei der Einzelkanzlei. Die Haftung von Sozien und Sozietäten, noch zumal wenn sie interprofessionell sind, fordert höchste Aufmerksamkeit und eine genaueste Beobachtung der Entwicklung der Rechtsprechung in der jüngeren Vergangenheit und auch in Zukunft, wenngleich die Entwicklung hierzu abgeschlossen scheint.[307] Hinzu kommen relativ neue Gesellschaftsformen wie Partnerschaft, Partnerschaftsgesellschaft, LLP und Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung sowie GmbH & Co KG.

 

Rz. 86

In der Einzelkanzlei haftet selbstverständlich der Rechtsanwalt als Inhaber der Kanzlei und alleiniger Auftragnehmer, auch für die Fehler seiner Erfüllungsgehilfen (= Mitarbeiter der Kanzlei) gem. § 278 BGB.

 

Rz. 87

Übernimmt die Sozietät/GbR ein Mandat, haftet die Sozietät als Rechtsperson, da sie nach "Erlangung" der Rechtsfähigkeit Vertragspartner des Mandanten ist. Daneben haften grundsätzlich alle Sozien persönlich auf Schadenersatz (akzessorisch) für die von einem Sozius oder mehreren anderen Sozien begangene Pflichtverletzung.

Diese persönlich weitreichende "Sozienhaftung" tritt nicht nur dann ein, wenn ein Gesellschafter (echter Sozius) fehlerhaft gehandelt hat, sondern auch für den Fall der Pflichtverletzung eines sog. Scheinsozius ("Scheingesellschafter").[308] Von einem Scheinsozius spricht man, wenn der betreffende Berufsangehörige nicht Gesellschafter ist, sich aber wie ein solcher durch seinen Außenauftritt präsentiert. Maßgebliche Kriterien hierfür sind insbesondere dessen Nennung auf Briefbogen, Stempel, Kanzleischild und ggf. im Internetauftritt wie ein echter Sozius/Gesellschafter.[309] In der Regel nicht hierunter fällt die sog. "Kooperation",[310] soweit diese deutlich als solche nach außen gekennzeichnet ist. Es kommt für die Frage der entsprechenden Einordnung ausschließlich auf die Sicht eines außenstehenden Dritten an.[311] Ohne rechtliche Bedeutung für die Haftung ist – abgesehen von besonderen Fällen, z.B. der Kooperation – das Innenverhältnis des betreffenden "Scheinsozius" zu seinen weiteren (Schein-)Sozien (Angestellter, freier Mitarbeiter usw.).

Unbedingt zu beachten gilt, dass sich die versicherungsvertragliche Betrachtung in den maßgeblichen Bedingungswerken davon deutlich unterscheiden kann. Zwar ist dort ebenfalls unerheblich, wie sich das Innenverhältnis darstellt. Die Art der Zusammenarbeit aber ist für die deckungsrechtliche Beurteilung – unabhängig von der Anscheinshaftung – ggf. deutlich weitergehender. Gemäß marktüblichem Standard werden – meist unter § 1 Ziff. Abs. 3 AVB – z.B. auch die Bürogemeinschaft, die Kooperation oder "ähnliches" als Sozius/Sozietät definiert. Inwieweit diese nicht mit der Haftung übereinstimmende Regelung von der Rechtsprechung toleriert wird, bleibt abzuwarten, wenngleich durch das Urteil des BGH vom 21.7.2011 eine gewisse Tendenz vorgegeben scheint, wenn der BGH dort die Sozienklausel (§ 12 AVB) grundsätzlich für wirksam erachtet.[312] Die Entscheidung ist allerdings nicht zu der o.g. "aktuellen" Sozienklausel ergangen.

Die zuvor beschriebene Haftung von Scheinsozien kommt auch in Betracht in Fällen der deliktischen Haftung.[313]

Die solidarische Mithaftung von Scheinsozien kommt allerdings nicht in Betracht für anwaltsuntypische Tätigkeiten, z.B. nicht für Gesellschaftsverbindlichkeiten jeder Art zum Betrieb der Kanzlei[314] oder auch für berufsuntypische Tätigkeiten eines Anwalts in der Kanzlei, denn eine Scheinsozietät haftet nur für Rechtsgeschäfte eines Scheinsozius, wenn sich diese aus einem Mandatsverhältnis ergeben. Auf sonstige Geschäfte des Scheinsozius im Namen der Sozietät finden die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht keine Anwendung, wie z.B. dann, wenn es dem Mandanten bei Abschluss eines Treuhandvertrages nur auf die reine Vermögensbetreuung, und nicht auf die Rechtsberatung ankam.[315]

Weitergehend zur Haftung von neu in die GbR eingetretenen Scheinsozien für Altverbindlichkeiten weiter unten (siehe Rdn 94 ff.).

 

Rz. 88

Übersicht: Haftender Personenkreis

 
Rechtsanwalt – Einzelpraxis Haftung des Kanzleiinhabers als alleiniger Vertragspartner (§§ 280, 278 BGB)
Rechtsanwalt – Sozietät (BGB-Gesellschaft)

Grundsatz: Gesamtschuldnerische/akzessorischeHaftung aller Sozien[316] vom Eintritt bis zum nach außen kenntlich gemachten Ausscheiden[317] (Sozienmandat).[318]

Der neuen Rechtsprechung folgend haftet die rechtsfähige BGB-Gesellschaft,[319] da in der Regel die Sozietät als Rechtsperson Vertragspartner des Mandanten ist (siehe hierzu auch Rdn 15 ff.). Darüber hinaus kommt es zur akzessori...

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