Rz. 193
Die Höchstleistung des Versicherers für alle Verstöße eines Versicherungsjahres ist entsprechend der allgemein in der Haftpflichtversicherung geltenden Regelung auf das Zweifache der Versicherungssumme. Bei höheren Deckungssummen – im Allgemeinen ab 20 Mio. EUR – wird die Deckungssumme auf das Einfache pro Jahr begrenzt, wobei sich die vereinbarte Jahreshöchstleistung immer auf das Verstoßjahr bezieht, nicht etwa auf das Jahr der Meldung von Schadenfällen. Die Begrenzung erstreckt sich nur im Bereich der gesetzlichen Mindestversicherungssumme von 250.000 EUR (die Jahreshöchstleistung des Versicherers das beträgt das Vierfache dieser Summe, § 51 Abs. 4 BRAO) auf den einzelnen Anwalt. Bei den höheren Deckungssummen – ab 1 Mio. EUR – wird in der Praxis meist eine Begrenzung der Jahreshöchstleistung für die gesamte Kanzlei (nicht pro Berufsträger) vereinbart.
Rz. 194
Eine angemessene, risikoadäquate Versicherungssumme ist "Geschäftsgrundlage"“ der gesetzlichen Pflichtversicherung. Hinter die gesetzlich vorgeschriebene Mindestversicherungssumme von 250.000 EUR zurückzufallen, verbietet das Gesetz.
Rz. 195
Der Anwalt sollte sich also von der Überlegung leiten lassen, das Interesse seines Mandanten an einem solventen Schuldner nicht zu vernachlässigen; es liegt schließlich im Eigeninteresse des Anwalts, jede Existenz bedrohende Eventualität zu vermeiden. Auf welche Versicherungssumme dies hinausläuft, hängt von den Werten ab, um die es in den Mandaten geht, die der Anwalt von seinen Mandanten üblicherweise erhält. Die derzeit zu beobachtende Entwicklung dieser Werte legt es nahe, nicht zu knapp zu kalkulieren. Grundsätzlich sollte sich die Versicherungssumme am höchsten Risiko orientieren.
Rz. 196
Es ist dem Verstoßprinzip (vgl. Rdn 183 ff.) immanent, dass sich die Höhe der Deckung im Schadenfall nach der Versicherungssumme im Zeitpunkt des Verstoßes richtet. Auch Schäden, die erst nach vielen Jahren bekannt werden, müssen ausreichend versichert sein. Die Verjährungsregelungen bieten nämlich so, wie sie gesetzlich geregelt und richterrechtlich fortgebildet sind (vgl. Rdn 76 f.), keinen hinreichenden Schutz gegen späte und erfolgreiche Inanspruchnahme. Bis dahin hat sich möglicherweise ein gewaltiges Schadenpotenzial realisiert. Kommt der Schaden erst spät ans Tageslicht, ist er mitnichten zwangsläufig billiger als ein ganz frischer Schaden; auch das will bei der Wahl der Versicherungssumme berücksichtigt sein.
Beispiel: Ehevertrag
Der Anwalt berät ein junges Ehepaar über den passenden Güterstand. Beide wollen für den Fall des Scheiterns ihrer Ehe nichts vom anderen fordern können. Der Anwalt versäumt es, auf Gütertrennung zu dringen. Die Ehe wird ohne Ehevertrag mit gesetzlichem Güterstand geschlossen. Beide Partner sind zu diesem Zeitpunkt gerade noch Studenten. Der Ehemann ist am "Neuen Markt" tätig und – anders als manch anderer Marktteilnehmer – auch noch erfolgreich. Die Ehe scheitert. Es stellt sich heraus, dass die Ehefrau vergesslich ist; sie kann sich nicht an die Abrede erinnern, dass im Fall des Scheiterns der Ehe keiner etwas vom anderen fordern solle. Die Ehefrau macht erfolgreich Ansprüche auf Zugewinnausgleich geltend. Das hätte der Anwalt eigentlich verhindern sollen. Da der Ehemann inzwischen "millionenschwer" ist, fällt erst der Zugewinnausgleich zugunsten der vergesslichen Ehefrau und dann der Regressanspruch des Ehemannes gegen den Anwalt entsprechend hoch aus. Die gesetzliche Deckungssumme ist da rasch verbraucht.
Rz. 197
Für Anwälte, die in nicht unwesentlichem Umfang eine beratende Tätigkeit ausüben oder eine größere Kanzlei betreiben, ist heute eine Deckungssumme je Versicherungsfall von weniger als 5 Mio. EUR unverantwortlich – sich selbst und den Mandanten gegenüber.
Eine Anhebung der gesetzlichen Mindestversicherungssumme ist mehr als überfällig – bedenkt man, dass sich seit Einführung der Mindestpflichtversicherungssumme im Jahre 1994 die anwaltlichen Haftungsrisiken um ein Mehrfaches erhöht haben und bei "neuen" Risiken, die einer Pflichtversicherung unterworfen werden, weitaus höhere Mindeststandards normiert werden.
Rz. 198
Daneben sind auch andere Konstellationen denkbar, die eine höhere Versicherungssumme nahe legen. Wird ein Anwalt als Insolvenzverwalter, als Mitglied eines Gläubigerausschusses, als Vormund, als Nachlassverwalter oder als Testamentsvollstrecker tätig (zur mitversicherten Nebenfunktion vgl. Rdn 154 ff.), dann geht er mit diesen Tätigkeiten im Allgemeinen ein höheres Haftpflichtrisiko ein als mit der eigentlichen Anwaltspraxis. Es empfiehlt sich daher, derartige Funktionen bei der Wahl der Deckungssumme auch dann zu berücksichtigen, wenn der Anwalt ein solches Amt bei Vertragsschluss noch gar nicht ausübt.
Rz. 199
Auch dann, wenn die Versicherungssumme dem Kanzleizuschnitt eigentlich angemessen ist, kommt es immer wieder zu Mandaten, deren Gegenstandswert die (ansonsten angemessene) laufende Versicherungssumme übersteigt. Für "Ausreißer" dieser Art braucht auch der...