Rz. 184

Die Vorwärtsversicherung deckt die Folgen aller anwaltlichen Versehen, die sich zwischen Beginn des Versicherungsschutzes bis zum Ablauf des Vertrages ereignen (auch wenn sie noch nicht bekannt sind).

Sie ist der Normalfall der Berufs-Haftpflichtversicherung, da Pflichtverletzungen (= Verstöße) in der Eigenschaft als Anwalt nur begangenen werden können, nachdem die entsprechende Bestellung erfolgt ist.

 

Rz. 185

Demgegenüber bietet die Rückwärtsversicherung Deckung für in der Vergangenheit liegende anwaltliche Versehen. Eine solche Pflichtverletzung kann sich nicht ergeben aus (versicherter) anwaltlicher Tätigkeit, wenn die betreffende Person noch gar nicht als Anwalt zugelassen war; denn erst mit der Zulassung beginnt die anwaltliche Berufsausübung.

Der Sinn einer Rückwärtsversicherung in der Berufs-Haftpflichtversicherung liegt im Wesentlichen darin, für die Vergangenheit noch den "Fehler" zu korrigieren, z.B. eine nicht angemessene, risikoadäquate Deckungssumme gewählt zu haben.

Um das Problem der unzureichenden Deckungssumme (vgl. Rdn 183) zu lösen, hätte der Anwalt im Beispielfall mit dem Versicherer B zum 1.1.2010 Folgendes vereinbaren müssen:

Vorwärtsversicherung für Verstöße in der Zukunft mit einer Deckungssumme von 5 Mio. EUR,
Rückwärtsversicherung für Verstöße aus der Zeit vom 1.1.2008 bis zum 31.12.2009 mit einer Deckungssumme von 4 Mio. EUR im Anschluss an die vorhandene Deckung bei Versicherer A, der wegen des Verstoßprinzips ja weiterhin Deckung für den beschriebenen Fall mit bis zu 1 Mio. EUR zu bieten hat.

Man nennt diese Art der Deckung Excedenten – Rückwärtsversicherung.

 

Rz. 186

Selbstverständlich bieten die Versicherer eine Rückwärtsversicherung nur für Verstöße an, die bei deren Abschluss noch nicht bekannt sind.

Als bekannt gilt bedingungsgemäß – nach marktüblichen Standard – ein Verstoß, wenn ein Vorkommnis als nur möglicherweise objektiv fehlsam erkannt oder so bezeichnet worden ist. Es ist nicht erforderlich, dass Schadenersatzansprüche erhoben, angedroht oder befürchtet wurden (§ 2 II AVB). Zwischenzeitlich hat der BGH klargestellt, dass "bekannt" Bekanntsein und nicht nur kennen müssen oder evtl. kennen müssen voraussetzt.

Ungeachtet dessen hätte der Versicherer im Zweifel den entsprechenden Nachweis zu führen.

 

Rz. 187

Das sog. Claims-Made-Prinzip. kommt aus dem angelsächsischen Raum. Wie der Begriff deutlich macht, ist danach Versicherungsfall die Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs, der auf einer Pflichtverletzung beruht, die in dem versicherten Zeitraum begangen wurde (ungeachtet einer evtl. vereinbarten Rückwärtsversicherung, die auch beim Claims-Made-Prinzip vereinbart werden kann). Dieses Prinzip ist nur schwer zu vereinbaren mit den Anforderungen an einen zeitlich lückenlosen Pflichtversicherungsschutz; denn spätestens mit Ausscheiden aus dem Anwaltsberuf bzw. Rückgabe der Bestellung würde der Anwalt keine weitere Berufs-Haftpflichtversicherung mehr benötigen. Gleichwohl muss er wegen der beschriebenen Spätschadensituation (siehe oben Rdn 183 erster Absatz) noch Jahre später mit einer möglichen Inanspruchnahme aufgrund von Pflichtverletzungen aus seiner Zeit als zugelassener Anwalt rechnen. Seine Erben müssen als Rechtsnachfolger ggf. auch noch für dessen Fälle aus aktiver Zeit haften. Sie benötigen daher – auch aus Sicht des Gesetzgebers – mindestens den Pflichtversicherungsschutz, den sie über das Verstoßprinzip unproblematisch erhalten. Über eine Claims-Made-Lösung wäre das gleiche Ergebnis nur zu erreichen, wenn der Versicherer eine zeitlich unbegrenzt nachlaufende Deckung akzeptiert.

Letztlich kommt man nicht umhin, festzustellen, dass das Claims-Made-Prinzip für die Pflichtversicherung einschließlich des Bereichs der Haftungssummen, die für eine wirksame ­Haftungsbegrenzung der Höhe nach zwingend sind, (§§ 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO, 54 a Abs. 1 Nr. 2 WPO (WiPrO) und 67 a Abs. 1 Nr. 2 StBerG, also bis zu 10 Mio. EUR, keinesfalls in Betracht kommen kann.

 

Rz. 188

Plant der Anwalt bzw. die Kanzlei (meist getrieben von Kostendruck) ein "Deckungssummensplitting" dergestalt, dass eine Versicherungssumme von insgesamt 10 Mio. EUR versichert wird – davon die unteren 5 Mio. EUR (Grunddeckung) auf Basis des Verstoßprinzips und darauf aufsetzend weitere 5 Mio. EUR (Excedent)[466] auf Basis des Claims-Made-Prinzips –, läuft er ein hohes persönliches Risiko. Aufgrund der mangelnden Kompatibilität der beiden Prinzipien drohen elementare Deckungslücken, wenn der Claims-Made-Versicherer den Exzedenten z.B. nach einem Jahr nicht weiterführen will und den Vertrag daher nicht verlängert.

Macht nun nach Beendigung des Claims-Made-Exzedenten (5 Mio. EUR) der Mandant einen Schadenersatzanspruch in Höhe von 10 Mio. EUR geltend wegen einer Pflichtverletzung, die vor der Beendigung des Exzedenten begangen wurde, hat der Anwalt bzw. die Kanzlei

Deckungsschutz von 5 Mio. EUR aus der Grundversicherung – wegen des Verstoßprinzips;
keinen Deckungsschutz aus dem Claims-Made-Exzedenten, weil die Gel...

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