Rz. 146
Zitat
StVG § 17; StVO §§ 1, 9 Abs. 5
a) |
Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nach § 1 StVO in Verbindung mit der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit-)verursacht hat. |
b) |
Dagegen liegt die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs regelmäßig nicht vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere rückwärtsfahrende Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug hineingefahren ist. |
c) |
Unabhängig vom Eingreifen eines Anscheinsbeweises können die Betriebsgefahr der Fahrzeuge und weitere sie erhöhende Umstände im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG Berücksichtigung finden. |
(im Anschluss an Senatsurt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15, VersR 2016, 410 und v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, VersR 2016, 479).
a) Der Fall
Rz. 147
Die Klägerin machte gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall vom 3.7.2014 auf dem Parkplatz eines Baumarktes geltend. Der Beklagte zu 1 fuhr am Unfalltag mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw auf dem Fahrweg zwischen zwei im rechten Winkel dazu angeordneten Parkbuchten. Dabei fuhr er vorwärts in eine – aus seiner Fahrtrichtung gesehen rechts vom Fahrweg gelegene – Parkbucht ein, um sogleich wieder in entgegengesetzter Richtung rückwärts aus der Parkbucht auszufahren. Die Klägerin befand sich zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Pkw in einer auf der gegenüberliegenden Seite des Fahrwegs gelegenen Parkbucht. Sie fuhr, nachdem sie gesehen hatte, dass der Beklagte zu 1 in die Parkbucht eingefahren war, mit ihrem Fahrzeug rückwärts aus ihrer Parkbucht und brachte ihr Fahrzeug auf dem Fahrweg zum Stehen. Noch ehe sie den Vorwärtsgang eingelegt und ihr Fahrzeug in Richtung Ausfahrt in Bewegung gesetzt hatte, kam es zur Kollision zwischen dem Pkw der Klägerin und dem Heck des Pkw des Beklagten zu 1, der ebenfalls rückwärts aus der gegenüberliegenden Parkbucht ausgefahren war. Durch die Kollision wurde das Fahrzeug der Klägerin an der Fahrerseite beschädigt.
Rz. 148
Die Klägerin hat behauptet, dass der Pkw des Beklagten vollständig in die gegenüberliegende Parkbucht eingefahren sei. Die Bremslichter des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 seien erloschen gewesen. Erst als sie daraufhin aus ihrer Parkbucht ausgefahren und auf dem Fahrweg zum Stehen gekommen sei, habe der Beklagte zu 1 sein Fahrzeug plötzlich zurückgesetzt. Zum Zeitpunkt der Kollision habe sie bereits etwa drei Sekunden auf dem Fahrweg gestanden.
Rz. 149
Der Beklagte zu 1 hat behauptet, nicht in die unmittelbar gegenüber dem Klägerfahrzeug befindliche Parkbucht, sondern in eine etwas versetzt gelegene Parkbucht eingefahren zu sein. Er sei auch nicht vollständig in diese Parkbucht eingefahren, sondern habe, als sich die Front seines Fahrzeugs etwa quer zum Verlauf des Fahrwegs befunden habe, den Rückwärtsgang eingelegt, um in entgegengesetzter Fahrtrichtung wieder auf den Fahrweg zu fahren. Er sei zur selben Zeit wie die Klägerin aus der Parkbucht ausgefahren. Das Fahrzeug der Klägerin sei allenfalls den Bruchteil einer Sekunde vor der Kollision zum Stehen gekommen.
Rz. 150
Die Beklagte zu 2 hat den Schaden der Klägerin auf Grundlage einer Haftungsquote von 50 % reguliert. Die auf Ersatz des weitergehenden Schadens gerichtete Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 151
Das angefochtene Urteil hielt revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stritt nach den getroffenen Feststellungen kein Anscheinsbeweis für ein Mitverschulden der Klägerin. Die Revision beanstandete insoweit mit Recht die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG.
Rz. 152
Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG – wie im Rahmen des § 254 BGB – Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (vgl. Senatsurt. v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, VersR 2016, 479 Rn 10; v. 27.5.2014 – VI ZR 279/13, VersR 2014, 894 Rn 18 und v. 7.2.2012 – VI ZR 133/11, VersR 2012, 504 Rn 5 m...