Rz. 151
Das angefochtene Urteil hielt revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts stritt nach den getroffenen Feststellungen kein Anscheinsbeweis für ein Mitverschulden der Klägerin. Die Revision beanstandete insoweit mit Recht die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG.
Rz. 152
Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG – wie im Rahmen des § 254 BGB – Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (vgl. Senatsurt. v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, VersR 2016, 479 Rn 10; v. 27.5.2014 – VI ZR 279/13, VersR 2014, 894 Rn 18 und v. 7.2.2012 – VI ZR 133/11, VersR 2012, 504 Rn 5 m.w.N.). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (Senatsurt. v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, a.a.O.; v. 27.5.2014 – VI ZR 279/13, a.a.O. und v. 7.2.2012 – VI ZR 133/11, a.a.O., m.w.N.). Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hielt die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung nicht stand. Im Rahmen der hiernach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und -verschuldensanteile hatte das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Anscheinsbeweis für ein Mitverschulden der Klägerin spreche, obwohl es davon ausgegangen war, dass das Fahrzeug der Klägerin im Zeitpunkt der Kollision bereits stand.
Rz. 153
Der erkennende Senat hat in zwei Entscheidungen (Senatsurt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15, VersR 2016, 410 Rn 15 und v. 26.1.2016 – VI ZR 179/15, VersR 2016, 479 Rn 11) Grundsätze zur Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises gegen den Rückwärtsfahrer bei Parkplatzunfällen aufgestellt.
Danach ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter nicht unmittelbar anwendbar. Mittelbare Bedeutung erlangt sie aber über § 1 StVO. Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärtsfährt, so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug, so können zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Mitverschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen. Steht fest, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, so spricht auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit-)verursacht hat. Dagegen liegt die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs regelmäßig nicht vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere – rückwärtsfahrende – Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug hineingefahren ist.
Rz. 154
Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, dass ein Anscheinsbeweis auch für ein Mitverschulden der Klägerin an dem Verkehrsunfall spreche. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Klägerin nach dem Zurücksetzen ihr Fahrzeug auf dem Fahrweg "zum Stehen" gebracht. Unter Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts hatte das Berufungsgericht damit seiner Beurteilung die Feststellung zugrunde gelegt, dass das Fahrzeug der Klägerin unmittelbar vor der Kollision zum Stillstand gekommen war. Lediglich die Zeitspanne zwischen Erreichung des Stillstands des Pkw der Klägerin und der Kollision mit dem rückwärtsfahrenden Fahrzeug des Beklagten zu 1 hatte das Berufungsgericht nicht festzustellen vermocht. Auf dieser tatsächlichen Grundlage stand eine Anwendung des Anscheinsbeweises zulasten der Klägerin nicht in Einklang mit der vorgenannten Rechtsprechung des erkennenden Senats. Die erforderliche Typizität liegt regelmäßig nicht vor, wenn zwar feststeht, dass ein Fahrzeugführer – wie hier – vor der Kollision rückwärts gefahren ist, aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der and...