Dr. iur. Sebastian Berkefeld
a) Grundsätzliches
Rz. 75
Bei einer lebzeitigen Zuwendung kann der künftige Erblasser bestimmen, dass sich der Pflichtteilsberechtigte diese auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen muss (§ 2315 BGB). Dadurch reduziert sich der Pflichtteil des Zuwendungsempfängers u.U. ganz erheblich, und zwar i.d.R. wesentlich stärker als bei einer bloßen Ausgleichungsanordnung (§§ 2050 ff., 2316 BGB) oder bei einer Kombination von Ausgleichung und Anrechnung (§ 2316 Abs. 4 BGB). Dadurch wird auch die gesamte Pflichtteilsbelastung gesenkt und nicht nur – wie bei der Ausgleichung – primär die Verteilung der Pflichtteilsansprüche zwischen den einzelnen Pflichtteilsberechtigten beeinflusst. Auf die Höhe des Pflichtteils der anderen Pflichtteilsberechtigten als solche hat die Anrechnung zunächst keine unmittelbare Auswirkung; die Zuwendung selbst kann allerdings Gegenstand eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs (§ 2325 BGB) oder einer Ausgleichung (§§ 2050 ff., 2316 BGB) zugunsten der anderen Pflichtteilsberechtigten sein. Wegen der Entscheidung des OLG Brandenburg vom 31.8.2022 kann es sich empfehlen, bei der Anrechnungsbestimmung vorsorglich festzustellen, dass allein mit der Pflichtteilsanrechnung keine Enterbung des Begünstigten verbunden ist.
b) Anrechnungsbestimmung
Rz. 76
Anders als bei der Ausgleichung nach §§ 2050 ff. BGB gibt es keine Anrechnungspflicht kraft Gesetzes. Es besteht also immer Handlungsbedarf. Die Anrechnungspflicht kann jedem Pflichtteilsberechtigten auferlegt werden, also auch einem Ehegatten.
Rz. 77
Die Anrechnungsbestimmung ist eine einseitige, empfangsbedürftige, jedoch grundsätzlich nicht formbedürftige Willenserklärung (außer das zugrunde liegende Kausalgeschäft ist formbedürftig). Stillschweigende Anrechnungsbestimmungen werden zwar grundsätzlich für möglich gehalten, da sonst § 2315 BGB in vielen Fällen kaum praktisch werden würde. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte dies jedoch vermieden werden. Die Anrechnung muss sich auf den Pflichtteil beziehen. Wird nur eine "Anrechnung auf den Erbteil" verfügt, die es eigentlich gar nicht gibt (sondern nur die Ausgleichung auf den Erbteil nach §§ 2050 ff. BGB), so hat diese zunächst über § 2316 BGB mittelbar Auswirkungen auf den Pflichtteil; ob darüber hinaus auch eine "echte Anrechnung auf den Pflichtteil" angenommen werden kann, ist eine Frage der Auslegung im Einzelfall. Da Ausgleichungspflicht und Anrechnungsbestimmung völlig unterschiedliche Bedeutung haben und sich insbesondere eine Ausgleichungspflicht beim Pflichtteilsberechtigten nicht so einschneidend auswirkt wie eine Anrechnungsbestimmung, sollten auch hier die exakten Gesetzesbegriffe verwendet werden.
Rz. 78
Die Anrechnungsbestimmung muss jedoch dem Empfänger vor oder spätestens bei der Zuwendung derart zum Bewusstsein gebracht werden, dass er sich für die Zuwendung mit Anrechnungspflicht oder gegen die Zuwendung entscheiden kann. Eine nachträgliche einseitige Anrechnungsbestimmung ist grundsätzlich nicht möglich, da sie in die zwingenden Pflichtteilsrechte eingreifen würde. Die zunächst im Rahmen der letzten Erbrechtsreform erwogene Möglichkeit, nachträglich durch Verfügung von Todes wegen eine Anrechnungspflicht zu begründen, wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens verworfen.
Rz. 79
Eine nachträgliche Anrechnung auf den Pflichtteil ist nur zulässig, wenn sich der Zuwendende bei der Zuwendung eine solche Anrechnung zu einem späteren Zeitpunkt ausdrücklich vorbehalten hat, was möglich ist, denn in diesem Fall musste der Empfänger auf alle Fälle mit einer Minderung seines Pflichtteils rechnen, oder wenn ihm gegenüber Pflichtteilsentziehungsgründe vorliegen (§§ 2333 ff. BGB) oder wenn diese Anrechnungswirkung durch einen der Form des § 2348 BGB entsprechenden beschränkten Pflichtteilsverzicht zwischen Erblasser und Zuwendungsempfänger herbeigeführt wird.
Praxishinweis
Selbst wenn die Anrechnungsanordnung stillschweigend getroffen werden kann, so ist doch darauf zu achten, dass sie bei einem späteren Rechtsstreit zu beweisen ist. Auch wenn der Beweis grundsätzlich mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, so sollte doch immer vom Zuwendungsempfänger eine schriftliche Bestätigung über die Höhe der Zuwendung und die getroffene Anrechnungsanordnung unterschrieben werden.
Rz. 80
Probleme bereitet die Frage, wann die Anrechnungsbestimmung zu treffen ist, wenn für einen pflichtteilsberechtigten Abkömmling eine Versicherung (insbesondere Lebensversicherung) angeleg...