Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 207
Durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24.9.2009 wurde das vormals für die Ausschlussfrist nach § 2325 Abs. 3 BGB geltende "Alles-oder-Nichts-Prinzip" durch eine flexiblere Abschmelzungsregelung ersetzt. Seitdem gilt für die Ausschlussfrist nach § 2325 Abs. 3 BGB die Abschmelzungsregelung.
Rz. 208
Demnach werden für die Bemessung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs Schenkungen umso weniger berücksichtigt, je länger diese zurückliegen: Eine Schenkung im ersten Jahr vor dem Erbfall wird demnach voll in Ansatz gebracht, im zweiten Jahr nur noch zu 9/10, im dritten Jahr zu 8/10 usw. Dadurch soll die Ausschlussfrist für Pflichtteilsergänzungsansprüche flexibler gestaltet und sowohl dem Erben als auch dem Beschenkten mehr Planungssicherheit eingeräumt werden. Dementsprechend wurde die Neuregelung allgemein begrüßt.
Rz. 209
Die aktuelle gesetzliche Abschmelzungsregelung gilt nicht nur für Schenkungen, die seit dem Inkrafttreten des Reformgesetzes am 1.1.2010 vorgenommen wurden, sondern für alle Erbfälle, die ab diesem Zeitpunkt eintreten, mag die Schenkung auch bereits zuvor erfolgt sein (Art. 229 § 23 Abs. 4 EGBGB).
Rz. 210
Ganz überwiegend wird allerdings vertreten, dass die Abschmelzungsregelung des § 2325 Abs. 3 S. 1 und 2 BGB dann nicht eingreift, wenn schon keine Leistung i.S.v. Abs. 3 S. 1 vorliegt. Aufgrund der Rechtsprechung, dass die Ausschlussfrist erst beginnt, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer aufgegeben hat, sondern auch darauf verzichtet, das Schenkungsobjekt im Wesentlichen weiterzunutzen (siehe Rdn 187 ff.), tritt bei einer Zuwendung gegen Nießbrauchsvorbehalt die Abschmelzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht ein; Gleiches gilt bei einem umfangreichen Wohnungsrecht (siehe Rdn 198 ff.).
Rz. 211
Zum Teil wird bezweifelt, dass das Eingreifen der "Abschmelzungsregelung" – wie der bisherige Beginn der Ausschlussfrist – davon abhängig sei, dass der Schenker die "Leistung des verschenkten Gegenstandes" i.S.d. Rechtsprechung bereits erbracht habe. Hintergrund ist, dass der Wortlaut des § 2325 Abs. 3 S. 1 BGB auf die seit dem "Erbfall" vergangene Zeit abstellt und erst in § 2325Abs. 3 S. 2 BGB bestimmt wird, dass die Schenkung insgesamt unberücksichtigt bleibt, wenn "seit der Leistung" zehn Jahre vergangen sind.
Rz. 212
Dagegen geht die ganz h.M. davon aus, dass nach wie vor die Leistung eingetreten sein muss, damit die – nunmehr im Sinne der Abschmelzungsregelung – modifizierte Ausschlussfrist zu laufen beginnt. Sie argumentiert damit, dass
▪ |
die Pro-Rata-Regelung im Satz 1 des Absatzes 3 nur im Zusammenhang mit Satz 2 zu lesen sei, in dem auf die Leistung des Schenkungsgegenstandes abgestellt werde; |
▪ |
nach der amtlichen Gesetzesbegründung ein tragender Gedanke für den Ausschluss des Pflichtteilsergänzungsanspruchs sei, dass je länger die Schenkung zurückliege, desto weniger von einer möglicherweise unlauteren Benachteiligungsabsicht des Erblassers auszugehen sei; |
▪ |
es sich nach der amtlichen Begründung bei der Neuregelung ausdrücklich um eine Modifizierung der Ausschlussfrist handele, nicht aber um die Regelung der Voraussetzungen, unter denen die Frist anläuft. |
Rz. 213
Damit besitzt die einschränkende Rechtsprechung des BGH zur notwendigen wirtschaftlichen Ausgliederung des Geschenks weiterhin Bedeutung. Allerdings hat es der Gesetzgeber trotz diesbezüglicher Hinweise im Gesetzgebungsverfahren versäumt, durch eine entsprechende Regelung die z.T. geäußerten Zweifel auszuräumen.
Rz. 214
In Anlehnung an die bisherige Regelung für Ehegattenzuwendungen in § 2325 Abs. 3 Hs. 2 BGB a.F. bestimmt Satz 3 der Neuregelung von 2010, dass bei Schenkungen an den Ehegatten die Frist nicht vor der Auflösung der Ehe beginnt, also die Pro-Rata-Regelung nicht bereits früher eingreift.