Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 76
Anders als bei der Ausgleichung nach §§ 2050 ff. BGB gibt es keine Anrechnungspflicht kraft Gesetzes. Es besteht also immer Handlungsbedarf. Die Anrechnungspflicht kann jedem Pflichtteilsberechtigten auferlegt werden, also auch einem Ehegatten.
Rz. 77
Die Anrechnungsbestimmung ist eine einseitige, empfangsbedürftige, jedoch grundsätzlich nicht formbedürftige Willenserklärung (außer das zugrunde liegende Kausalgeschäft ist formbedürftig). Stillschweigende Anrechnungsbestimmungen werden zwar grundsätzlich für möglich gehalten, da sonst § 2315 BGB in vielen Fällen kaum praktisch werden würde. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte dies jedoch vermieden werden. Die Anrechnung muss sich auf den Pflichtteil beziehen. Wird nur eine "Anrechnung auf den Erbteil" verfügt, die es eigentlich gar nicht gibt (sondern nur die Ausgleichung auf den Erbteil nach §§ 2050 ff. BGB), so hat diese zunächst über § 2316 BGB mittelbar Auswirkungen auf den Pflichtteil; ob darüber hinaus auch eine "echte Anrechnung auf den Pflichtteil" angenommen werden kann, ist eine Frage der Auslegung im Einzelfall. Da Ausgleichungspflicht und Anrechnungsbestimmung völlig unterschiedliche Bedeutung haben und sich insbesondere eine Ausgleichungspflicht beim Pflichtteilsberechtigten nicht so einschneidend auswirkt wie eine Anrechnungsbestimmung, sollten auch hier die exakten Gesetzesbegriffe verwendet werden.
Rz. 78
Die Anrechnungsbestimmung muss jedoch dem Empfänger vor oder spätestens bei der Zuwendung derart zum Bewusstsein gebracht werden, dass er sich für die Zuwendung mit Anrechnungspflicht oder gegen die Zuwendung entscheiden kann. Eine nachträgliche einseitige Anrechnungsbestimmung ist grundsätzlich nicht möglich, da sie in die zwingenden Pflichtteilsrechte eingreifen würde. Die zunächst im Rahmen der letzten Erbrechtsreform erwogene Möglichkeit, nachträglich durch Verfügung von Todes wegen eine Anrechnungspflicht zu begründen, wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens verworfen.
Rz. 79
Eine nachträgliche Anrechnung auf den Pflichtteil ist nur zulässig, wenn sich der Zuwendende bei der Zuwendung eine solche Anrechnung zu einem späteren Zeitpunkt ausdrücklich vorbehalten hat, was möglich ist, denn in diesem Fall musste der Empfänger auf alle Fälle mit einer Minderung seines Pflichtteils rechnen, oder wenn ihm gegenüber Pflichtteilsentziehungsgründe vorliegen (§§ 2333 ff. BGB) oder wenn diese Anrechnungswirkung durch einen der Form des § 2348 BGB entsprechenden beschränkten Pflichtteilsverzicht zwischen Erblasser und Zuwendungsempfänger herbeigeführt wird.
Praxishinweis
Selbst wenn die Anrechnungsanordnung stillschweigend getroffen werden kann, so ist doch darauf zu achten, dass sie bei einem späteren Rechtsstreit zu beweisen ist. Auch wenn der Beweis grundsätzlich mit allen Beweismitteln erbracht werden kann, so sollte doch immer vom Zuwendungsempfänger eine schriftliche Bestätigung über die Höhe der Zuwendung und die getroffene Anrechnungsanordnung unterschrieben werden.
Rz. 80
Probleme bereitet die Frage, wann die Anrechnungsbestimmung zu treffen ist, wenn für einen pflichtteilsberechtigten Abkömmling eine Versicherung (insbesondere Lebensversicherung) angelegt und bezahlt wird: bereits bei Benennung des Bezugsberechtigten oder erst bei der Auszahlung der Versicherungsleistung?
Rz. 81
Beispiel 3
Abwandlung des Grundfalls (siehe Rdn 65): Bei der Zuwendung des Bauplatzes an Michael unterblieb eine Anrechnungsordnung, weil Otto Normalerblasser davon ausging, dass dieser Sohn ohnehin sein Alleinerbe werden sollte. Mittlerweile soll "umgeplant" werden, weil man sich mit ihm zerstritten hat: Stefan soll Erbe werden. Was kann man tun, um die Bauplatzzuwendung pflichtteilsrechtlich relevant werden zu lassen?
Rz. 82
Als Maßnahmen bei vergessener oder bewusst unterbliebener Anrechnungsbestimmung kommen in Betracht:
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Erklärung eines entsprechenden Pflichtteilsverzichts; jedoch wird der Zuwendungsempfänger dazu oftmals nicht mehr bereit sein, wenn er das, was er wollte, schon erhalten hat; |
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Prüfung, ob die Zuwendung nicht wenigstens bereits kraft Gesetzes ausgleichungspflichtig ist (§ 2050 Abs. 1 und 2 BGB), insbesondere ob sie nicht eine Ausstattung ist (bei einem Bauplatz durchaus möglich); dann verringert sie bei einem Abkömmling nach § 2316 BGB auch den Pflichtteil, wenn auch nicht so stark wie die Anrechnung (siehe Beispiel Rdn 72); |
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zu überlegen ist aus Gründen der Pflichtteilsvermeidung auch die Vornahme lebzeitiger Zuwendungen hinsichtlich des Restvermögens des Zuwendenden, da beim Pflichtteilsergänzungsanspruch die an den Pflichtteilsberechtigten erfolgten Eigengeschenke (§ 2327 Abs. 1 BGB) immer angerechnet werden, auch wenn keine Anrechnungs- oder Ausgleichungsbestimmung getroffen wurde (sog. Flucht in die Pflichtteilsergänzung). Dies wird in der Beratungspraxis teilweise übersehen. |
Rz. 83
Die Anrechnungsbestimmung kann auch bedingt angeordnet werden, etwa im Hinblick auf eine erst künftig...