Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 187
So hat der BGH bereits im Jahr 1994 entschieden, dass eine Leistung i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB nur dann vorliege, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgebe, sondern auch darauf verzichte, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im Wesentlichen weiterhin zu nutzen. Behalte sich dagegen der Erblasser bei der Grundstücksschenkung den Nießbrauch uneingeschränkt vor, gebe er den "Genuss" des verschenkten Gegenstands nicht auf, weshalb eine "Leistung" in diesem Sinne trotz Umschreibung im Grundbuch nicht vorliege (sog. "Genusstheorie"). Zahlreiche Stimmen im Schrifttum haben sich dieser Auffassung angeschlossen.
Rz. 188
Für die Kautelarpraxis ergibt sich daraus die Problemstellung, welche Gestaltungen einerseits dem Schenker eine noch weitgehend umfassende Nutzungsmöglichkeit gewähren, andererseits aber den Fristbeginn sicherlich auslösen.
Rz. 189
(1) Bei fremdgenutzten Immobilien, bei dem es dem Schenker nur darauf ankommt, dass er den Mietertrag erhält, wird vielfach empfohlen, statt des Nießbrauchs eine entsprechende Leibrente zu vereinbaren. Auf Basis der vom BGH entwickelten These vom Erfordernis des Genussverzichts bleibt aber eine Restunsicherheit hinsichtlich des Fristanlaufs bestehen.
Rz. 190
(2) Bei einer gemischt genutzten Immobilie wird verbreitet angeraten, diese nach dem Wohnungseigentumsgesetz in abgeschlossene Wohnungen aufzuteilen. Nur an der selbstgenutzten Wohnung behält sich der Übergeber sodann ein Wohnungsrecht vor mit der Folge, dass kein Fristbeginn erfolgt. Die anderen Wohnungen werden ohne Vorbehalt eines dinglichen Nutzungsrechts übertragen und damit der Fristbeginn ausgelöst. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass für ein Schenkungsobjekt im Rechtssinne die Frist des § 2325 Abs. 3 BGB nur einheitlich zu laufen beginnen kann, aber bei mehreren ein getrennter Fristbeginn möglich ist.
Rz. 191
Praxishinweis
Pflichtteilsrecht: Rechtsprechung zur pflichtteilsrechtlichen Beurteilung fehlt, jedoch erscheint dies ein gangbarer Weg. Hierfür spricht auch die Entscheidung des OLG München vom 8.7.2022.
Anderes: Nachteilig bei dieser Lösung können die entstehenden Notar- und Grundbuchkosten sein sowie die Kosten für die Abgeschlossenheitsbescheinigung und ggf. einen Architekten. Zudem kann die Aufteilung aus baulichen Gründen ausscheiden, wenn die erforderliche Abgeschlossenheit der Wohnungen (§ 3 Abs. 2 WEG) nicht vorhanden ist (und ggf. nur mithilfe erheblicher Umbauten hergestellt werden könnte).
Rz. 192
(3) Daneben werden verschiedene Möglichkeiten zur Ausgestaltung des Nießbrauchs diskutiert. Der Ausschluss einzelner Nutzungsmöglichkeiten nach § 1030 Abs. 2 BGB ist jedenfalls kein hierfür geeigneter Weg. Auch wenn man eine sehr weitgehende sachenrechtliche "Optionsmöglichkeit" hin zum Nießbrauch annimmt und selbst bei einem sehr weit reichenden Ausschluss der Nutzungsmöglichkeiten immer noch einen Nießbrauch zulässt, so wird ein "rudimentärer Nießbrauch" in der Praxis kaum gewünscht sein und daher kaum vorkommen. Inwieweit die Vereinbarung eines Quoten- oder Bruchteilsnießbrauchs sichere Gestaltungsmöglichkeiten mit Beginn der Zehn-Jahres-Frist bietet, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Da der BGH den Fristbeginn dann verneint, wenn sich der Übergeber die "wesentlichen Nutzungen" vorbehält, also keinen Genussverzicht leistet, stellt sich die Frage nach der Festlegung der Wesentlichkeitsgrenze. Teilweise wird dabei vertreten, dass ein Quotennießbrauch von weniger als 50 % dem Fristbeginn nicht entgegenstünde. Jedoch ist richtigerweise zunächst einmal der Vergleichsmaßstab dafür festzulegen, wann noch eine “wesentliche Nutzung vorliegt.
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Ist dies allein das Verhältnis der vorbehaltenen zu den weggegebenen Ertragsanteilen am Vertragsobjekt (objektbezogene Betrachtung)? |
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Ist darauf abzustellen, welchen Anteil die vorbehaltenen Nutzungen im Verhältnis zu den Gesamteinkünften des Übergebers haben? Hierfür spricht, dass der BGH entscheidend darauf abstellt, dass der Fristbeginn nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Vermögensweggabe einen so starken "Einschnitt" für den Übergeber bedeutet, dass er sich von "böslichen Schenkungen" abhalten lässt. |
Rz. 193
Richtig erscheint es, eine Kombinationsbetrachtung vorzunehmen: Ein Vorbehalt der Nutzungen des Vertragsobjekts von 50 % oder mehr ist sicherlich immer eine Gestaltung, bei welcher der Übergeber sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht im Wesentlichen von dem Vertragsobjekt und seinen Nutzungsmöglichkeiten trennt, weshalb die Zehn-Jahres-Frist noch nicht zu laufen beginnt, wenn man der BGH-Rechtsprechung im Ansatz folgt. Andererseits kann bei einem Zurückbehalt einer "formal kleineren" Nutzungsquote auch dies kein Verzicht auf die "wesentliche Nutzung" darstellen, wenn die dadurch gesicherten Einnahmen für den Übergeber als s...