Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 176
Ob und inwieweit die für einen Erbverzicht geleistete Abfindung als unentgeltliche Zuwendung anzusehen ist, die dem Pflichtteilsergänzungsanspruch unterliegt, hatte bereits früher schon den BGH zwei Mal beschäftigt. In seinem Urteil vom 8.7.1985 hatte der II. Senat die Frage zwar offen gelassen, ging aber bezüglich der Abfindung für einen Erbverzicht "jedenfalls in Höhe des Mehrbetrags über das, was dem Empfänger aufgrund seines Pflichtteilsrechts zugestanden hätte" von einem Pflichtteilsergänzungsanspruch aus. In seinem Urteil vom 28.2.1991 hat der IX. Senat des BGH im Rahmen der Prüfung der Anfechtung nach § 3 AnfG gemeint, dass der Pflichtteilsverzicht in aller Regel keine Gegenleistung ist, die die Verfügung des Schuldners zu einer entgeltlichen macht.
Rz. 177
In seinem Beschluss vom 3.12.2008 lässt der BGH die Frage, ob die für einen Erbverzicht geleistete Abfindung als entgeltliche oder unentgeltliche Leistung anzusehen ist, offen. Denn in jedem Fall unterliege der Pflichtteilsergänzung nach § 2325 BGB nur, was über ein Entgelt bzw. über eine angemessene Abfindung hinausgeht. Im Einzelnen wird dazu vom BGH ausgeführt (Tz. 14 ff.): Zwar sei in der Rspr. die Abfindung für einen Erbverzicht als unentgeltliche Zuwendung eingeordnet worden. Diese Auffassung werde im Schrifttum zunehmend geteilt. Dabei müsse aber § 2325 BGB mit Rücksicht auf eine infolge des Verzichts auf das gesetzliche Erbrecht eintretende Erhöhung des Pflichtteils nach § 2310 S. 2 BGB einschränkend ausgelegt: Hält sich die Abfindung in dem Zeitpunkt, in dem sie erbracht wird, der Höhe nach im Rahmen der Erberwartung des Verzichtenden, müsse davon ausgegangen werden, dass sie grundsätzlich zugunsten des Pflichtteilsberechtigten durch § 2310 S. 2 BGB kompensiert wird. Der Pflichtteilsberechtigte soll wegen derselben, für den Erbverzicht eines gesetzlichen Erben geleisteten Abfindung nicht neben dem erhöhten Pflichtteil auch noch einen Ergänzungsanspruch erhalten. Eine Pflichtteilsergänzung komme danach nur in Betracht, soweit die Leistung des Erblassers an den Verzichtenden über eine angemessene Abfindung für dessen Erbverzicht hinausgehe.
Rz. 178
Danach komme es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die für den Erbverzicht gewährte Abfindung eine entgeltliche oder eine unentgeltliche Leistung war. In jedem Fall unterliegt der Pflichtteilsergänzung nach § 2325 BGB nur, was über ein Entgelt bzw. über eine angemessene Abfindung hinausgeht. Dabei ist auf den Wert des Erbteils abzustellen, auf den verzichtet wird, nicht etwa auf den Wert des dem Verzichtenden zustehenden Pflichtteils. Weiter könne sich für die Frage, ob die vom Erblasser gewährte Leistung über ein Entgelt oder eine angemessene Abfindung für den Erbverzicht hinausgehe, der Pflichtteilsberechtigte auf die in der Rechtsprechung bei gemischten Schenkungen anerkannte Beweiserleichterung berufen. Danach ist eine Schenkung zu vermuten, soweit zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht.
Rz. 179
Damit schließt sich der BGH zwar im Ergebnis der Auffassung an, die bei einer angemessenen Gegenleistung dem im Hinblick darauf erklärten Erbverzicht Entgeltlichkeitscharakter zubilligt. Zugleich verwendet er aber das zentrale Argument der vermittelnden Meinung, dass die Abfindung durch die Erhöhung der Pflichtteilsquote nach § 2310 S. 2 BGB ausgeglichen werde. Jedoch hätte der BGH die Einordnungsfrage nicht offenlassen dürfen, wie gerade die Zwiespältigkeit der Begründung zeigt.
Rz. 180
Vergleichsmaßstab für das Vorliegen der Entgeltlichkeit ist nach dem BGH der Wert des Erbteils, auf den verzichtet wird. Das bedeutet in sachlicher Hinsicht, dass nicht auf den Pflichtteil abzustellen ist, sondern vielmehr eine wesentlich größere Zuwendung in Höhe des gesetzlichen Erbteils der Pflichtteilsergänzung entzogen ist. Dies eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten. In entsprechenden Fällen kann daher aus diesem Grund der Erbverzicht durchaus angezeigt sein, so dass dann paradoxerweise die sonst zutreffende Empfehlung "auf den Erbverzicht verzichte" nicht gilt. In zeitlicher Hinsicht muss der Zeitpunkt des Abschlusses des Erbverzichtsvertrags maßgeblich sein. Insoweit geht der amtliche Leitsatz zu weit, der auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung abstellt, der aber viel später liegen kann.
Rz. 181
Ob indes dieser Vergleichsmaßstab in jedem Fall zutrifft, kann zweifelhaft sein. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen gegenüber einem erbrechtlich gebundenen Erblasser ein entsprechender Verzicht abgegeben wird. Hier steht der gesetzliche Erbteil gar nicht mehr zur Disposition der Vertragschließenden. Maßgeblich kann hier nur der Pflichtteil sein. Zudem ist auch nicht sicher, ob die BGH-Entscheidung auch auf den reinen Pflichtteilsverzicht anwendbar ist. Denn dort tritt bekanntlich keine Erhöhung des gesetzlichen Erb- und Pflichtteils anderer Personen nach § 2310 S. 2 BGB ein.
Rz. 182
Da ...