Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 198
Häufig wird anstelle eines Nießbrauchs- ein Wohnungsrecht für den Übergeber vereinbart. Dieses steht grundsätzlich dem Nießbrauchvorbehalt gleich, so dass ein umfassendes Wohnungsrecht den Fristbeginn nach verbreiteter Ansicht verhindert. Anders ist dies jedoch, wenn sich das Wohnungsrecht auf einzelne Teile des Zuwendungsobjekts bezieht:
Rz. 199
Nach der Rspr. der Instanzgerichte hemmt den Fristbeginn nicht, wenn das Wohnungsrecht nicht das gesamte Gebäude umfasst, sondern sich auf wenige Räume oder eine Etage eines ansonsten fremdgenutzten Gebäudes beschränkt. Allerdings haben die angestellten Wesentlichkeitsbetrachtungen (ob der Eigentumsverlust für den Erblasser ein spürbares Vermögensopfer war oder nicht) auch hier zur Folge, dass vergleichbare Fälle unterschiedlich bewertet wurden.
Rz. 200
Nach dem Beschluss des OLG Oldenburg vom 14.11.2005 hindert die Einräumung eines beschränkt dinglichen Wohnungsrechts für den Schenker jedenfalls dann den Beginn der Zehn-Jahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht, wenn sich das Wohnungsrecht nur auf eine von mehreren Wohnungen bezieht und es Dritten nicht überlassen werden kann. Vielmehr hat dann der Schenker einen spürbaren Vermögensverlust erlitten, so dass von einem Vollzug der Schenkung i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB mit dem Übergang des Eigentumswechsels ausgegangen werden kann. Auch nach dem OLG Bremen hindert den Fristbeginn nicht, wenn sich der Erblasser an nur zwei Zimmern im Obergeschoss des Hauses ein ausschließliches Wohnrecht, an weiteren Räumlichkeiten des Hauses sowie an den gemeinschaftlichen Einrichtungen des Grundstücks ein Mitbenutzungsrecht einräumen lässt und an den übrigen Räumen des Hauses keinerlei Wohn- und Nutzungsrechte behält. Nach dem LG Rottweil hemmt ein Wohnungsrecht den Fristbeginn nicht, wenn sich das Recht zur alleinigen Nutzung nur auf ca. 10 % der übergebenen Gesamtnutzfläche bezieht.
Rz. 201
Im Fall des OLG Karlsruhe vom 15.1.2008 hatten sich die Eltern in dem Übergabevertrag in einem Zweifamilienhaus das Wohnungsrecht vorbehalten, bestehend aus dem Recht der alleinigen Benutzung der aus drei Zimmern bestehenden Erdgeschosswohnung und dem Recht zur Mitbenutzung der beiden Kellerräume, Garage, Schwimmbad und Garten (Angaben zur Größe der Wohnungen fehlen). Nach den Feststellungen des OLG veränderten sich durch den Übergabevertrag die (faktischen) "Nutzungsverhältnisse" nicht. Allerdings hatte der Übernehmer sich gegenüber dem Übergeber verpflichtet, das übergebene Anwesen nicht zu veräußern, andernfalls bestand ein Rückerwerbsrecht. Zudem hatte sich der Übernehmer verpflichtet, die von ihm bewohnte Wohnung nicht an Dritte zu vermieten. Trotz dieser Vereinbarung bejahte des OLG Karlsruhe überzeugend den Beginn der Zehn-Jahresfrist mit der Umschreibung des Schenkungsobjekts im Grundbuch. Durch die Schenkung hätten sich die Übergeber der Verfügungsmöglichkeit über das Schenkungsobjekt begeben, was insbesondere dann wirtschaftlich bedeutsam würde, wenn zur Finanzierung von Pflegeheimkosten die Vermietung des ganzen Hauses oder sogar dessen Verkauf erforderlich geworden wäre. Zudem konnten sie hinsichtlich der Wohnung, die nicht ihrem Wohnungsrecht unterliegt, den Übernehmer nicht mehr von der Nutzung ausschließen, was sich insbesondere bei einem "Zerwürfnis" mit diesem bemerkbar machen würde. Sie wären nicht mehr "Herr im Haus". Trotz der Veräußerungs- und Vermietungsbeschränkung hätten die Übergeber – anders als im Fall von OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1546 – keine weitere Vorsorge für einen "wesentlichen Einfluss auf die weitere Verwendung des Anwesens getroffen".
Rz. 202
Rigoroser entschied dagegen das OLG München, dass es für die Frage der Leistung i.S.v. § 2325 Abs. 3 BGB nicht auf den Verlust der Verfügungsbefugnis, sondern allein auf die fortbestehende Nutzungsmöglichkeit ankomme: Übergeben wurde ein Wohnhaus, wobei dem Übernehmer offenbar nur die Nutzungsmöglichkeit an der Wohnung im Tiefparterre verblieb; am übrigen Wohnhaus behielt sich der Übergeber das Wohnungsrecht vor. Dass der Übergeber dadurch die Möglichkeit zur Vermietung und Veräußerung des Schenkungsobjekts verlor, sieht dabei das Gericht nicht als maßgeblich an, da der Übergeber entsprechend den bereits bei Vertragsabschluss vorliegenden Vorstellung bis zu seinem Tod im Vertragsobjekt weiter wohnte und dort auch betreut wurde, so dass für ihn keine Notwendigkeit bestand, dieses zu vermieten oder zu verkaufen, um etwaige Pflegekosten zu finanzieren.
Rz. 203
Der BGH hat diese Linie der Instanzgerichte in einer jüngst ergangenen Entscheidung im Wesentlichen bestätigt, eine rechtssichere, abstrakte Definition bzw. Abgrenzung jedoch versäumt. Die Entscheidung betraf die Übergabe eines dreistöckigen Wohnhausgrundstücks durch die Eltern an ihren Sohn unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts als Gesamtberechtigte an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss. Zudem war die Mitbenutzung des Gartens, der Nebenräume sowie aller Versorgungsleitu...