Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 40
Dem Grunde nach kommt eine Inhaltskontrolle auch bei Erb- und Pflichtteilsverzichten in Betracht und wird von Seiten der Rechtsprechung bereits seit vielen Jahren vorgenommen. Letztlich ist nur das Schlagwort neu, unter dem dies diskutiert wird. Der Inhaltskontrolle steht auch nicht § 310 Abs. 4 BGB entgegen, denn diese Bestimmung schließt bei erb- und familienrechtlichen Verträgen nur eine sich aus den §§ 307 ff. BGB ergebende Inhaltskontrolle aus. Vielmehr findet sich die Inhaltskontrolle von Rechtsgeschäften heute hinsichtlich einer Vielzahl von rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen, auch individueller Art, so etwa im Bereich der Gesellschaftsverträge, im Einzelfall im Ansatz auch bei Dienstbarkeiten. Sie muss aber den Besonderheiten des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Rechnung tragen. Demnach sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Überprüfung von Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen auf die Beurteilung von Erb- und Pflichtteilsverzichten wegen der Unterschiedlichkeit der Vertragsarten nicht direkt übertragbar. Dies betrifft insbesondere bereits die erste Stufe der Überprüfung, die sog. Wirksamkeitskontrolle, die sich wohl an § 138 BGB orientiert: Das Ehegattenerb- und Pflichtteilsrecht kann nicht zum Kernbereich der Scheidungsfolgen gehören, da der Gesetzgeber dieses mit der Scheidung nach § 1933 S. 1 und 2 BGB erlöschen lässt. Das vom BGH für die Inhaltskontrolle von Eheverträgen entwickelte System von Rangabstufungen von unterschiedlich vereinbarungsfesten Scheidungsfolgen kann daher nicht um eine weitere dem Erb- und Pflichtteilsverzicht zukommende Position erweitert werden. Hinzu kommt, dass das gesetzliche Scheidungsfolgenrecht, das der BGH zum Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Eheverträge nimmt, bezweckt, die ehebedingten Nachteile auszugleichen, während diese Überlegung für den Erbverzicht überhaupt keine Bedeutung hat. Zudem stellt der Erb- und Pflichtteilsverzicht seinem Wesen, insoweit vergleichbar mit dem Ausschluss des Zugewinns, einen Verzicht auf eine Vermögensteilhabe dar. Nach der Rspr. des BGH zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen ist aber dieser Zugewinn einer vertraglichen Disposition in einem sehr großen Umfang zugänglich und nicht mit einem Verzicht auf die laufenden Versorgungs- und Unterhaltsansprüche vergleichbar. Zudem sind die verschiedenen Formen dieser Verzichte differenziert zu behandeln: Das gesetzliche Erbrecht kann durch eine Enterbung (§ 1938 BGB) beseitigt, eine letztwillige Verfügung widerrufen (§§ 2253 ff. BGB) werden. Daher besitzt der entsprechende Erbanwärter weder ein Voll-, ja nicht einmal ein Anwartschaftsrecht. Dies ist daher bei einem Zuwendungsverzicht, aber auch bei einem Erbverzicht unter Pflichtteilsvorbehalt (§ 2346 Abs. 1 S. 2 2. Hs. BGB) bei der Frage, ob eine Sittenwidrigkeit des Verzichts vorliegt, entsprechend zu beachten und spricht gegen eine zu starke gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit.
Rz. 41
Auch der zweiten Stufe, der sog. Ausübungskontrolle, liegen bei der Überprüfung von Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen besondere, auf den Erb- und Pflichtteilsverzicht nicht übertragbare Überlegungen zugrunde: Die Ausübungskontrolle stellt darauf ab, ob ein Ehegatte seine Rechtsstellung missbraucht, wenn er sich gegenüber den gesetzlichen Scheidungsfolgen auf die geschlossene Vereinbarung beruft. Dies ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines gegenüber dem Vertragsabschluss anders eingetretenen Lebensverlaufs zu beurteilen, wenn es eben "anders kommt als gedacht". Demgegenüber ist es beim Erb- und Pflichtteilsverzicht wegen seines besonderen, "aleatorischen Rechtscharakters" durchaus typisch, dass sich die Vermögens- und Einkommensverhältnisse ganz anders entwickeln. Ein Korrekturbedarf besteht nicht und stünde gerade der vertraglich gewollten Risikoverteilung entgegen, die vom Willen zur Schaffung erbrechtlicher Klarheit vor Eintritt des Erbfalls getragen ist. Auch in zeitlicher Hinsicht bestehen zumindest bezüglich einer Kontrolle des Erbverzichts Bedenken: Denn der BGH stellt im Rahmen der Ausübungskontrolle auf den Zeitpunkt des Scheiterns der ehelichen Lebensgemeinschaft ab und vergleicht die tatsächlich eingetretene Lebenssituation und Lastenverteilung mit der bei Vertragsabschluss geplanten Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse. Demgegenüber wäre beim Erb- und Pflichtteilsverzicht der Erbfall der maßgebliche Zeitpunkt. Da aber dann aus Gründen der Rechtssicherheit die Erbfolge eindeutig feststehen muss, ist eine Anpassung des abstrakten Erbverzichts aufgrund einer Inhaltskontrolle nicht mehr möglich. Eine zeitlich vorverlagerte Überprüfung könnte andererseits die "Lastenverteilung" noch nicht abschließend beurteilen, da vor Eintritt des Erbfalls der Umfang und die Werthaltigkeit des Nachlasses noch nicht feststeht.