Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 42
Für die Lösung ist weiter zu beachten, dass der Erb- wie auch der Pflichtteilsverzicht nicht seinen Rechtsgrund in sich selbst trägt, sondern nach ganz h.M. einer "causa" bedarf; diese ist beim unentgeltlichen Erb- und Pflichtteilsverzicht ein einseitiges, beim entgeltlichen ein gegenseitiges Rechtsgeschäft. Dementsprechend ist auch bei der gerichtlichen Überprüfung zwischen dem schuldrechtlichen Grundgeschäft und dem unmittelbar verfügenden Verzicht zu unterscheiden. Hinsichtlich der an § 138 BGB orientierten Wirksamkeitskontrolle ist dabei zu beachten, dass der Verzicht als solcher wertneutral und vom Gesetzgeber in § 2346 BGB ausdrücklich zugelassen ist. Die Unwirksamkeit kann sich allerdings auch aus dem Gesamtcharakter einer Vereinbarung ergeben, wobei Inhalt, Zweck und Beweggrund in die Beurteilung einzubeziehen sind. Aber in diesem Zusammenhang ist auch und vor allem das Verpflichtungsgeschäft zu beachten. Im Mittelpunkt der gerichtlichen Überprüfung wird daher i.d.R. das entsprechende Verpflichtungsgeschäft stehen, insbesondere beim entgeltlichen Erb- und Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung, soweit es um die Angemessenheit derselben geht. Hier gewähren aber die gesetzlich gegen die Störung von Vertragsbeziehungen vorgesehenen allgemeinen Regelungen durchweg einen angemessenen Interessenausgleich: Zu prüfen ist dabei insbesondere, ob eine Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) vorliegt. Dabei kommt es auch hier auf eine Gesamtwürdigung des Verzichtvertrags, und zwar hinsichtlich des verpflichtenden wie des verfügenden Teils, an, insbesondere auf den Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts, der sich aus dem Zusammenhang von Inhalt, Beweggrund und Zweck ergibt. Dabei kann sich die Sittenwidrigkeit auch aus den Umständen ergeben, unter denen der Vertrag zustande gekommen ist, der sog. Umstandssittenwidrigkeit (vgl. dazu Rdn 44 f.). Die Sittenwidrigkeit kann sich aber auch aus der Verknüpfung des Verzichts mit dem angestrebten Zweck ergeben.
Rz. 43
Daneben kommen aber auch die Anfechtung nach § 119 BGB und auch § 123 BGB bei einer Täuschung oder arglistigen Drohung, ein etwa vereinbarter Bedingungszusammenhang, eine ergänzende Vertragsauslegung und schließlich eine Anpassung bei Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB. Allerdings sind die Anfechtung wie auch die Rückabwicklung nach § 242 BGB oder auch nach § 313 BGB hinsichtlich des verfügenden Erbverzichts nur bis zum Eintritt des Erbfalls möglich, da dann aus Gründen der Rechtssicherheit die Erbfolge feststehen muss. Anders ist dies beim Pflichtteilsverzicht, der nur einen schuldrechtlichen Anspruch betrifft, und auch bezüglich des Kausalgeschäfts für den Erb- und Pflichtteilsverzicht. Bei beiden ist eine entsprechende Anpassung oder gar ein Wegfall des betreffenden Rechtsgeschäfts auch nach dem Erbfall noch möglich.
Gerade die Möglichkeiten der gesetzlichen Störfallvorsorge durch Anfechtung oder nach § 313 BGB haben zudem gegenüber der vom BGH für die Überprüfung von Eheverträgen gewählten, letztlich auf dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs beruhenden "Ausübungskontrolle" den Vorteil, im Zentrum der Überlegungen immer die von den Vertragsteilen verfolgte Willensrichtung zu haben und nicht eine richterliche Überprüfung nach "Billigkeitsgesichtspunkten" und einer von der Rspr. entwickelten "Kernbereichslehre" der "Dispositivität der Scheidungsfolgen". Und während wegen der gestaltenden Wirkung des verfügenden Erbverzichts nach Eintritt des Erbfalls diesbezüglich eine "Ausübungskontrolle" nicht mehr möglich ist, kann auch danach noch bezüglich der schuldrechtlichen Abfindungsvereinbarung eine Anpassung erfolgen. Immer aber muss der besondere Wagnischarakter des Erb- und Pflichtteilsverzichts beachtet werden, der eine Berücksichtigung einer unerwarteten Vermehrung oder Verminderung des Erblasservermögens ausschließt, und wie dies bislang schon durch die h.M. und Rechtsprechung geschah. Eine Anpassung ist daher nur im Regelfall hinsichtlich solcher Umstände möglich, die außerhalb der Vorstellungskraft der Vertragsteile lagen und mit denen vernünftigerweise niemand rechnen konnte.