Dr. iur. Sebastian Berkefeld
Rz. 44
Was aber die Ausgangsentscheidung des BVerfG zur Inhaltskontrolle von Eheverträgen betrifft, in der es um eine besondere "Drucksituation" und Unterlegenheit eines Vertragsteils ging, so sind solche Fälle auch im Bereich der Erb- und Pflichtteilsverzichte möglich. Jedoch ist hier zu beachten, dass im Hinblick auf die Anwendung des § 138 BGB nicht allein eine Dominanz eines Vertragspartners ein tatbestandsmäßiger Störfaktor sein darf, sondern erst der konkrete Missbrauch seiner Stärke gegenüber dem anderen Vertragsteil, der sich in Ausnutzung, Täuschung und möglicherweise Nötigung seines Vertragspartners äußern muss. Zu weit geht es aber, wenn nunmehr ausgehend von den allgemeinen Grundsätzen des Rechtsmissbrauchs gefordert wird, dass nur solche Pflichtteilsverzichtsverträge anzuerkennen sind, bei denen ein besonderes Interesse der Beteiligten deutlich wird, vom gesetzlichen Pflichtteilsrecht abzuweichen. Dies widerspricht nicht nur den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers, der selbst einen unentgeltlichen Erb- und Pflichtteilsverzicht für zulässig hielt. Auch schießt dieser Ansatz, der offensichtlich einzelne Missbrauchsfälle zu sehr verallgemeinert, über sein eigenes Ziel hinaus, weil er keine praktisch brauchbaren Abgrenzungskriterien liefert. Zudem ist er methodisch verfehlt. Das Rechtsinstitut der Missbrauchskontrolle dient dazu, in konkreten Einzelfällen Missständen zu begegnen. Demgegenüber wird dieses Rechtsinstitut hier dazu benutzt, den vom Gesetzgeber ohne weitere Einschränkung zugelassenen Vertragstyp der Erb- und Pflichtteilsverzichte einem generellen Rechtfertigungszwang zu unterwerfen. Damit wird aber auch in die verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Vertragsfreiheit eingegriffen, ohne dass es hierfür der nach dem Grundgesetz erforderlichen Notwendigkeit in diesem generalisierenden Umfang bedarf. Wie die Praxis der durchaus sehr häufigen erbrechtlichen Verzichte einerseits und der andererseits relativ geringen Zahl von Gerichtsurteilen hierzu zeigt, sind die von Röthel geäußerten Bedenken viel zu pauschal, und eines Plädoyers für ein "Ende der Leichtfertigkeit" bedarf es nicht.
Berater und Notare sollten jedoch in jedem Fall ihr besonderes Augenmerk auf die Verfahrensgestaltung im Vorfeld der Unterzeichnung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags richten, u.a. darauf achten, dass die Beteiligten des Pflichtteilsverzichtsvertrags vor der Beurkundung einen Entwurf zur Durchsicht und Prüfung erhalten, genug Zeit zwischen der Entwurfsversendung und der Beurkundung eingeplant wird und der Verzichtende die Möglichkeit hat, im Vorfeld Fragen zu stellen, den Inhalt des Vertrags zu verhandeln und sich (vom Urkundsnotar oder Dritten) beraten zu lassen. Ferner sollten in den Pflichtteilsverzichtsvertrag Belehrungen und Hinweise aufgenommen werden sowie Feststellungen zum vorbereitenden Verfahren und zum Nichtvorliegen einer Drucksituation.
Rz. 45
Ohne Erörterung der Zulässigkeit einer Inhaltskontrolle hat das OLG München vor einigen Jahren eine Umstandssittenwidrigkeit in einem Fall angenommen, in dem nichteheliche Kinder gegenüber ihrem Vater einen Erbverzicht abgaben. Dabei wurde der Berechnung der Abfindungsleistung entsprechend dem Vorschlag des Rechtsanwalts des Vaters die Unterhaltspauschalierung des § 1934d Abs. 2 BGB a.F. des damals möglichen vorzeitigen Erbausgleichs zugrunde gelegt, ohne dass den Verzichtenden deutlich gemacht wurde, dass sich im Erbfall ihr Erbersatzanspruch nach dem tatsächlichen Nachlasswert bemessen hätte. Darin hat das Gericht eine vorwerfbare Ausnutzung der alters- und erfahrungsmäßig schwächeren Verhandlungsposition der Verzichtenden gesehen. Die Entscheidung ist zum einen bedenklich, weil die Grenzziehung zwischen Sittenwidrigkeit und arglistiger Täuschung nicht klar gezogen wird. Dies ist deshalb besonders bedeutsam, weil die Anfechtung fristgebunden ist und nach dem Eintritt des Erbfalls jedenfalls bezüglich des verfügenden Erbverzichts ausgeschlossen ist. Zum anderen ist die Entscheidung auch deswegen problematisch, weil die Verzichtenden als Abfindung mehr erhielten, also sie nach der damaligen Rechtslage im Klagewege aufgrund des vorzeitigen Erbausgleichs hätten erhalten können. Zudem fehlen verlässliche Berechnungsmethoden für den entgeltlichen Erbverzicht und lassen sich angesichts des aleatorischen Rechtscharakters wohl auch nicht entwickeln. Eine Sittenwidrigkeit des Erbverzichts scheidet aber auf alle Fälle aus, wenn es dem verzichtenden Ehegatten ersichtlich nicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnis des anderen Ehegatten ankommt, sondern der Verzicht aus anderen Gründen unbedingt gewollt ist, etwa weil bei einer Eheschließung die Ehegatten wollen, dass die beidseits bereits aus anderen Beziehungen vorhandenen Kindern nicht durch die Erb- und Pflichtteilsansprüche des neuen Ehepartners beeinträchtigt werden.