Dr. iur. Sebastian Berkefeld
1. Grundsätzliches
Rz. 240
Für den überlebenden Ehegatten aus einer Zugewinngemeinschaftsehe ergeben sich für das Verhältnis von Pflichtteil und Ausschlagung Besonderheiten aus den §§ 2303 Abs. 2 S. 2, 1371 Abs. 3 BGB. Danach kann er ausschlagen und behält dennoch den Pflichtteil, auch wenn dies sonst nach den allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften (siehe Rdn 219) nicht der Fall wäre. Wird der Ehegatte Erbe oder Vermächtnisnehmer, so bemisst sich sein Pflichtteil nach dem gem. § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Ehegattenerbteil (sog. großer Pflichtteil). Wird der überlebende Ehegatte weder Erbe noch Vermächtnisnehmer, so kann er nach der sog. Einheitstheorie der h.M. ausschließlich den sog. kleinen Pflichtteil (berechnet aus dem nicht nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbteil) sowie den güterrechtlichen Zugewinnausgleich, der sich rechnerisch genau nach den §§ 1372 ff. BGB bestimmt, verlangen. Dabei ist es gleichgültig, ob der Erblasser den Ehegatten enterbt hat oder ob der Ausschluss von der Erbfolge durch Ausschlagung der Zuwendung herbeigeführt wurde (§ 1371 Abs. 3 BGB). Die Zugewinnausgleichsforderung rangiert dabei dem Range nach vor Vermächtnisansprüchen und Pflichtteilsansprüchen anderer (arg. e § 327 Abs. 1 InsO) und verringert daher die Höhe des der Pflichtteilsberechnung zugrunde zu legenden Nachlasses entsprechend (§ 2311 Abs. 1 BGB). Daneben beeinflusst natürlich die Höhe des Ehegattenerb- und -pflichtteils die Pflichtteilsquote der anderen Pflichtteilsberechtigten.
Rz. 241
Entsprechendes gilt auch für einen eingetragenen Lebenspartner, wenn auch hier die Zugewinngemeinschaft im Erbfall bestand (§ 6 S. 2 LPartG).
Rz. 242
Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild:
2. Erbeinsetzung unter dem großen Pflichtteil
Rz. 243
Ist der überlebende Ehegatte mit einem Erbteil bedacht, der geringer ist als der sich aus §§ 1931, 1371 Abs. 1 BGB ergebende "große Pflichtteil", so hat der überlebende Ehegatte nach § 2305 BGB einen Pflichtteilsrestanspruch bis zum großen Pflichtteil. Schlägt der Ehegatte das Erbe aus, so steht ihm nach § 1371 Abs. 3 BGB der Anspruch auf den kleinen Pflichtteil, berechnet nach dem nicht gem. § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbteil, und nach § 1371 Abs. 2 BGB der Anspruch auf den rechnerischen Zugewinnausgleich zu.
Rz. 244
Ist der Ehegatte bei dieser Situation mit einem belasteten oder beschwerten Erbteil bedacht, kann er für Erbfälle seit dem 1.1.2010 gem. § 2306 Abs. 1 BGB immer ausschlagen, ohne seinen Pflichtteil zu verlieren.
3. Vollständige Enterbung ohne Vermächtniszuwendung, Ausschlagung
Rz. 245
Wird der Ehegatte in keiner Weise bedacht oder schlägt er aus, obwohl der hinterlassene Erbteil größer ist als der große Pflichtteil, so erhält der überlebende Ehegatte gem. § 1371 Abs. 2 und 3 BGB den "kleinen Pflichtteil" zuzüglich eines etwa vorhandenen Zugewinnausgleichs ("güterrechtliche Lösung"). Er hat nach ganz überwiegender Meinung in diesem Fall nicht ein Wahlrecht zwischen der güterrechtlichen Lösung und dem großen Pflichtteil ohne Zugewinnausgleich.
4. Zuwendung eines Vermächtnisses
Rz. 246
Wird der Ehegatte ausschließlich Vermächtnisnehmer, so hat er das Wahlrecht zwischen Annahme des Vermächtnisses und Ergänzung hin zum großen Pflichtteil (§ 2307 Abs. 1 S. 2 BGB) oder Ausschlagung mit kleinem Pflichtteil und rechnerischem Zugewinnausgleich. Die Gründe, weshalb der Ehegatte nichts von Todes wegen erwirbt, sind dabei unerheblich. Auch bei einem noch so geringwertigen Vermächtnis muss der überlebende Ehegatte ausschlagen, um zur güterrechtlichen Lösung zu gelangen. Alle gegenteiligen Vorschläge finden im Gesetz keinen Anhaltspunkt und führen zu großen Abgrenzungsschwierigkeiten. Auch bedarf es keiner Missbrauchskorrektur, weil auch bei einem "Ein-Euro"-Vermächtnis der längerlebende Ehegatte entscheiden kann, ob die erb- oder die güterrechtliche Lösung für ihn die günstigere ist. Auf mehr als den kleinen Pflichtteil und den rechnerischen Zugewinnausgleich hat er im Zweifelsfall auch keinen Anspruch.
Praxishinweis
Der Erblasser hat es also bis zu einem gewissen Grad in der Hand, das Verhalten seines überlebenden Ehegatten zu "steuern", indem er ihm ein Vermächtnis einräumt, das für den Überlebenden von besonderer Wichtigkeit ist, etwa ein Wohnungsrecht oder einen Nießbrauch am eigengenutzten Wohnhaus. Dies empfiehlt sich insbesondere bei sehr hohem Zugewinnausgleich. Der Österreicher würde hier davon sprechen, dass man ein "Zuckerl" anbieten sollte.