Hilmar Stobbe, Dr. Jens Tietgens
Rz. 34
Für Schadensfälle ab dem 22.7.2017 gilt die Regelung des § 844 Abs. 3 BGB. Danach hat der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war. Diese Vermutung kann beispielsweise dadurch widerlegt werden, dass das Näheverhältnis bei Ehepartnern nicht mehr gegeben ist, weil die Beziehung zerrüttet ist. Mit § 844 Abs. 3 BGB wurde für Hinterbliebene eine Anspruchsgrundlage geschaffen, wenn eine ihnen nahestehende Person getötet wird. Eine eigene Rechtsgutverletzung beim Anspruchsteller ist dabei nicht erforderlich. Bei § 844 Abs. 3 BGB handelt es sich um eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass Drittschäden nicht ausgeglichen werden.
Rz. 35
Anspruchsberechtigt ist, wer zu der getöteten Person in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis gestanden hat, namentlich der Ehepartner, der Partner nach dem Partnerschaftsgesetz, Kinder, Eltern sowie Personen, bei denen der Grad des Näheverhältnisses eine gleiche Intensität aufweist, wie in diesen im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen. Ansatzpunkt für eine Anspruchsberechtigung könnte sein, dass die Interaktion nicht geringer ist als die zwischen den privilegierten Familienmitgliedern untereinander bzw. sonst eine besonders enge Verbundenheit besteht (BT-Drucks 18/11397 v. 7.3.2017, S. 13). Ein vergleichbares Näheverhältnis kommt in Betracht, wenn der Anspruchsteller mit dem Getöteten einen gemeinsamen Hausstand unterhalten und dabei eine emotionale Bindung untereinander bestanden hat, die derjenigen zu einem nächsten Familienangehörigen entspricht. Dies kann beispielsweise für Großeltern und Pflegeeltern gelten. Auf die Dauer der Beziehung kommt es dabei nicht an. Ein besonderes Näheverhältnis kann angenommen werden, wenn es beispielsweise einer "Mutter-Tochter-Beziehung" gleicht. Handelt es sich bei dem Geschädigten um einen Nasciturus, soll ein Anspruch auf ein Hinterbliebenengeld nach dem Tod eines Elternteils nicht bestehen. Diese Auffassung begegnet allerdings Bedenken (u.a. Wagner, NJW 2017, 2641). Für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes stellt es kein Kriterium dar, ob sich der Hinterbliebene in einem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis zum Verstorbenen befand.
Rz. 36
Anspruchsvoraussetzung ist entweder eine Haftung aus Delikt oder aus der Betriebsgefahr des den Schaden verursachenden Kraftfahrzeugs. Folglich scheiden vertragliche Ansprüche zur Begründung eines Hinterbliebenengeldes aus.
Rz. 37
Weitere Voraussetzung für ein Hinterbliebenengeld ist der Todeseintritt des Geschädigten. Der Ausgleich soll dem durch den Tod erlittenen Leid dienen. Dieses Leid muss aber (anders als beim Schockschadensersatz) medizinisch nicht fassbar sein. Bei der Bemessung des Anspruchs spielt deshalb (anders als beim Schmerzensgeld) die Ausgleichsfunktion keine Rolle. Das Hinterbliebenengeld dient vielmehr allein dem Ausgleich der Trauer, die durch den Verlust eines nahen Familienangehörigen verursacht wird.
Rz. 38
Ebenso wie das Schmerzensgeld ist die Ermittlung der Höhe des Hinterbliebenengeldes grundsätzlich Sache des Schätzungsermessens des Tatrichters gemäß § 287 ZPO. Maßgeblich für die Höhe der Entschädigung sind im Wesentlichen die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei bietet der im Gesetzentwurf genannte Betrag i.H.v. 10.000 EUR (BT-Drucks 18/11397, S. 11) eine Orientierungshilfe, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann. Folglich handelt es sich hierbei nicht um eine Obergrenze. Beispiele für zugesprochene Beträge sind:
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Tod des nichtehelichen Lebensgefährten nach kurzer Beziehung: 5.000 EUR |
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Grob fahrlässige Tötung der 80-jährige Mutter: 7.500 EUR |
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Tötung des 81-jährigen Vaters: 8.000 EUR |
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Tod der Ehefrau: 10.000 EUR |
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Tod des Ehemannes nach langjähriger Ehe: 12.000 EUR |
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Tod der 77-jährige Mutter: 12.000 EUR |
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vorsätzliche Tötung der Ex-Ehefrau: 15.000 EUR |
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Tod des minderjährigen Kindes: 15.000 EUR |
Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist vererblich. Der gezahlte Betrag unterliegt nicht der Steuerpflicht, da er keiner der Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes zugeordnet werden kann und auch nicht dem Ersatz des Verdienstausfallschadens dient. Wichtig ist, dass der Haftungsausschluss gemäß §§ 104 ff. SGB VII auch die Ansprüche auf Ausgleich eines Hinterbliebenengeldes gemäß § 844 Abs. 3 BGB erfasst.