Rz. 8
Bauvorhaben werden in den seltensten Fällen so ausgeführt, wie sie bei Vertragsschluss vereinbart wurden. Teils liegt dies an technischen Schwierigkeiten, die sich im Verlauf der Ausführung stellen, teils an Zusatzwünschen, die der Bauherr während der Ausführung beauftragt. Häufig kommt noch der Zeitdruck hinzu: Um bspw. ein großes gewerbliches Objekt möglichst früh vermieten zu können, besteht die Tendenz, mit der Auftragsvergabe und den ersten Gewerken schon zu beginnen, bevor die eigentliche planerische Lösung ganz ausgereift ist. Nach der Konzeption des BGB musste in derartigen Fällen jeweils ein (Zusatz-)Vertrag abgeschlossen werden, wobei sich die Parteien erneut über die Vergütung einigen mussten. Mangels Einigung über den Preis war bislang die ortsübliche Vergütung zu zahlen (§ 632 BGB). Das Interesse des Bauherrn ging dahin, nicht in jedem Fall die Zustimmung des Unternehmers einholen zu müssen, die dann über Preisverhandlungen erkauft wurde. Stattdessen sollte die Bereitschaft, Nachträge auf dem Preisniveau des Hauptauftrages auszuführen, schon im Vertrag festgeschrieben werden. Dieses vertragliche Preisniveau kann sich durchaus von den ortsüblichen Preisen unterscheiden. In Zeiten schlechter Baukonjunktur wurde ein niedriges Preisniveau festgeschrieben, bei starker Nachfrage ein hohes.
§ 650b und § 650c BGB enthalten nunmehr Regelungen zum Anordnungsrecht des Auftraggebers. Das Anordnungsrecht für Leistungsänderungen ist Kernstück des neuen Bauvertragsrechts und ist bereits aus der VOB/B bekannt. Der Auftraggeber kann auch ohne Vereinbarung der VOB/B Vertragsänderungen einseitig anordnen. Inhaltlich umfasst das Anordnungsrecht einerseits die Änderung des Werkerfolgs. Andererseits sind Änderungen möglich, die zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs notwendig sind. In diesem Fall kann der Auftraggeber zusätzliche Leistungen verlangen; er hat ein freies Anordnungsrecht. Unzumutbare Änderungen muss der Unternehmer aber nicht umsetzen, wobei er betriebsinterne Gründe zu beweisen hat.
Der Ablauf ist dann in § 650b BGB detailliert geregelt. Der Unternehmer muss nach Aufforderung durch den Auftraggeber zunächst ein Angebot erstellen. Plant der Auftraggeber selbst, muss er dem Unternehmer die Planung für die Angebotserstellung zur Verfügung stellen. Einigen sich die Vertragspartner danach nicht auf einen Nachtrag, kann der Auftraggeber 30 Tage nach Zugang seiner Änderungsaufforderung beim Unternehmer einseitig die bindende Anordnung in Textform (E-Mail genügt) aussprechen.
Im Hinblick auf die Nachtragskalkulation räumt § 650c BGB dem Unternehmer ein Wahlrecht ein: Er kann die Vergütung nach den tatsächlich erforderlichen Kosten nebst Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn kalkulieren (§ 650c Abs. 1 S. 1 BGB) oder auf eine vereinbarungsgemäß hinterlegte Urkalkulation zurückgreifen (§ 650c Abs. 2 BGB).
Weitgehend ungeklärt ist in der Rechtsprechung, inwieweit § 650b und § 650c BGB in AGB modifiziert werden können. Die Lehre ist zurückhaltend, insbesondere dort, wo von einer konkreten gesetzlichen Regelung abgewichen wird. Bedenken bestehen gegen eine Regelung, dass der Unternehmer seine Nachträge immer anhand einer hinterlegten Urkalkulation berechnen muss, da dem Unternehmer hierdurch sein Wahlrecht genommen wird. Die Preisanpassungsregeln dürften ein gesetzliches Leitbild sein, von dem in AGB nicht abgewichen werden darf. Weniger kritisch werden Regelungen gesehen, mit denen die Anordnungsfrist von 30 Tagen gemäß § 650b Abs. 2 S. 1 BGB verkürzt wird, zumindest wenn der Unternehmer begründet die Verlängerung auf die gesetzliche 30-Tage-Frist verlangen kann. Da auch die Wirksamkeit einer solchen Klausel in der Rechtsprechung ungeklärt ist, wird hier auf Eingriffe in die gesetzliche Regelung verzichtet.
Rz. 9
Kritisch ist angesichts § 650b Abs. 1 Nr. 2 BGB auch die Vereinbarung sog. Komplettheitsklauseln. Hintergrund ist folgender: Gerade in Zeiten einer schleppenden Baukonjunktur haben viele Bauunternehmen ein Claim-Management eingerichtet. Schon vor Vertragsschluss wird nach möglichen Lücken oder Unklarheiten des Leistungsverzeichnisses geforscht, um nach Vertragsschluss Behinderungsanzeigen und Nachträge geltend zu machen. Hierauf reagieren professionelle Auftraggeber häufig mit sog. Komplettheitsklauseln. Diese besagen sinngemäß, dass trotz gegebenenfalls lückenhafter Leistungsbeschreibung gleichwohl ein funktionstaugliches Werk zum vertraglich vereinbarten Preis geschuldet wird. Dabei wird nicht verkannt, dass mit solchen Komplettheitsklauseln Missbrauch getrieben werden kann. Deshalb steht auch der BGH diesen Klauseln argwöhnisch gegenüber. Mit § 3 Nr. 6 AVB wird ein Mittelweg versucht. Was klar erkennbar ist, soll offengelegt werden, damit hierüber nicht während der Bauausführung gestritten wird. Das dürfte mit der Rechtsprechung in Einklang stehen, da den Auftragnehmer ohnehin eine vorvertragliche Prüf- und Hinweispflicht bei evidenten Fehlern der Ausschreibung tri...