Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 2052
Gem. Art. 2 Abs. 1 SE-VO kann eine Europäische Gesellschaft (SE) durch Verschmelzung von zwei oder mehreren AG entstehen. Als Gründungsgesellschaften sind nur AG i.S.d. Anhangs I zur SE-VO zugelassen, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und ihren Sitz sowie ihre Hauptverwaltung in der Gemeinschaft haben. Der internationale Bezug kann nur dadurch hergestellt werden, dass mindestens zwei der an der Verschmelzung beteiligten AG dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen.
Hinweis
Soweit eine AG ohne einen Partner in die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE) wechseln möchte, könnte sie die Gründungsvariante der Umwandlung in eine Europäischen Gesellschaft (SE) wählen, Art. 2 Abs. 4 SE-VO. Als Voraussetzung müsste sie eine seit 2 Jahren bestehende Tochtergesellschaft haben. Soweit die Tochtergesellschaft eine AG ist, muss diese aber nicht bereits seit 2 Jahren bestehen, wenn die Gründungsvariante der Verschmelzung genutzt wird. Sie könnte zum Zwecke der Gründung durch Verschmelzung auch erst zugekauft werden und so die Gründungsvoraussetzungen für die Gründung einer Europäischen Gesellschaft (SE) durch Umwandlung "umgangen" werden.
a) Möglichkeiten der Gründung durch Verschmelzung
Rz. 2053
Die Gründung durch Verschmelzung kann nach Art. 17 Abs. 2 SE-VO entweder
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nach dem Verfahren der Verschmelzung durch Aufnahme gem. Art. 3 Abs. 1 der Verschmelzungsrichtlinie (jetzt Art. 89 Abs. 1 RL 2017/1132/EU) oder |
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nach dem Verfahren der Verschmelzung durch Gründung einer neuen Gesellschaft gem. Art. 4 Abs. 1 der Verschmelzungsrichtlinie (jetzt Art. 90 Abs. 1 RL 2017/1132/EU) erfolgen. |
Diese beiden Möglichkeiten der Gründung durch Verschmelzung sind aus dem nationalen Umwandlungsrecht (§ 2 UmwG) bekannt, da die Regelungen zur Verschmelzung auf der Dritten Richtlinie beruhen.
aa) Verschmelzung zur Aufnahme
Rz. 2054
Die Verschmelzung zur Aufnahme ist dadurch gekennzeichnet, dass eine AG ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen auf eine andere nationale AG als aufnehmende Gesellschaft gegen Gewährung von Aktien der übernehmenden Gesellschaft überträgt. Auf die Anteilsgewähr kann nicht verzichtet werden, da dies der SE-VO fremd ist.
Die aufnehmende Gesellschaft schafft die zu gewährenden Aktien i.d.R. durch Kapitalerhöhung. Soweit mit den Aktien kein genauer Wert zur Gegenleistung erreicht wird, kann bzw. muss eine bare Zuzahlung erfolgen. Mit Wirksamwerden der Verschmelzung nimmt die aufnehmende Gesellschaft die Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE) an (Art. 29 Abs. 1 Buchst. d), Art. 16 Abs. 1 SE-VO). Bei der aufzunehmenden Gesellschaft kann es sich auch um eine 100 %ige Tochtergesellschaft handeln. Diese Gründungsvariante ist in der Praxis weit verbreitet. Dabei wird zunächst ein nationaler Rechtsträger, z.B. in der Rechtsform einer GbR in eine AG, formgewechselt. Dann wird im Ausland eine neue AG gegründet oder eine Vorrats-SE erworben und sodann auf die durch Formwechsel entstandene AG verschoben.
bb) Verschmelzung durch Neugründung
Rz. 2055
Die Gründung der Europäischen Gesellschaft (SE) kann auch durch Verschmelzung zur Neugründung erfolgen. Merkmal ist, dass mehrere AG ihr gesamtes Aktiv- und Passivvermögen übertragen und dadurch den neuen Rechtsträger gründen. Im Gegensatz zur Verschmelzung zur Aufnahme müssen bei der Verschmelzung durch Neugründung immer mindestens zwei Gesellschaften ihr Aktiv- und Passivvermögen übertragen. Im Gegenzug werden Aktien der neuen Europäischen Gesellschaft (SE) gewährt. Wie auch bei der Verschmelzung zur Aufnahme muss ggf. eine bare Zuzahlung gewährt werden. Die neue Gesellschaft entsteht in der Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE).
b) Ablauf der Gründung durch Verschmelzung
Rz. 2056
Wie bei Umstrukturierungsmaßnahmen nach dem nationalen Umwandlungsrecht lässt sich der Ablauf der Gründung einer Verschmelzung in drei Phasen einteilen:
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Vorbereitungsphase, |
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Beschlussphase und |
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Vollzugsphase. |
c) Vorbereitungsphase
aa) Aufstellung des Verschmelzungsplans
Rz. 2057
Nach der internen Entscheidung zur Gründung einer Europäischen Gesellschaft müssen die Leitungs- bzw. Verwaltungsorgane der Gründungsgesellschaften zunächst einen Verschmelzungsplan gem. Art. 20 SE-VO aufstellen.
Es fällt auf, dass Art. 20 SE-VO nicht davon spricht, dass die Verschmelzungspläne den gleichen Wortlaut haben müssen. Es ist jedoch offensichtlich, dass nicht jede Gründungsgesellschaft einen anderen Verschmelzungsplan aufstellen und diese unterschiedlichen Verschmelzungspläne dann jeweils zur Abstimmung der Hauptversammlungen s...