Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
a) Rechtliche Grundlage der Prüfungspflichten des Notars in der Hauptversammlung
Rz. 1341
Die Aufgabe des Notars in der Hauptversammlung besteht nicht nur in der passiven Tätigkeit der Protokollierung von Beschlüssen ohne Beratungspflicht. Vielmehr ist der Notar darüber hinaus verpflichtet, über die recht engen Grenzen der aktienrechtlichen Vorschriften hinaus Vorgänge zu beurkunden, die für das Zustandekommen eines Beschlusses, rechtserheblich sind. Als "Rechtswahrer auf dem Gebiet vorsorgender Rechtspflege", wurde argumentiert, "obliege dem Notar eine Amtspflicht, bei der Beurkundung die Rechtssicherheit zu fördern und auf die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten hinzuwirken". Grundlage dieser Prüfungspflicht ist nicht das Aktienrecht, sondern das notarielle Berufsrecht. Solche Pflichten bestehen bei einer privatschriftlichen Hauptversammlungsniederschrift nicht.
b) Inhalt und Umfang der Prüfungspflichten
Rz. 1342
Protokolliert ein Notar in einer beurkundungspflichtigen Hauptversammlung die vom Gesetz bestimmten Vorgänge, muss darauf hinzuwirken, dass die Versammlung ordnungsgemäß durchgeführt und über die mit der Tagesordnung angekündigten Anträge rechtswirksame Beschlüsse gefasst werden. Nur in diesem Umfang darf der Notar Einfluss auf den Verlauf der Hauptversammlung nehmen. Im Übrigen hat er keine allgemeine Beraterfunktion, weder ggü. der Gesellschaft noch ggü. den Aktionären. Bei drohenden Rechtsverstößen oder zur Abwendung offensichtlich mangelhafter Beschlüsse besteht aber eine Hinweispflicht.
Rz. 1343
Eine stringente Prüfungspflicht für den Inhalt der Hauptversammlungsbeschlüsse ist damit nicht verbunden; andererseits kann sich der Notar aufgrund seiner Stellung als Organ der Rechtspflege nicht völlig aus einer solchen Prüfung heraushalten. Vergleichbar sind die Standards, wie sie bei einer bloßen Unterschriftsbeglaubigung gelten. Dort hat der Notar den Inhalt des Textes, unter dem er die Unterschrift beglaubigt, einer Evidenzkontrolle zu unterziehen. Ähnlich wird der Notar auch hier den Inhalt der zu beurkundenden Hauptversammlungsbeschlüsse einer kursorischen Prüfung auf offensichtliche Mängel unterziehen müssen. Dies gilt nur bei "üblichen" Hauptversammlungsbeschlüssen. Bei komplexen Beschlussgegenständen geht zu weit.
Rz. 1344
Besteht eine Hinweispflicht, ist diese zunächst ggü. dem Versammlungsleiter und, wenn dieser untätig bleibt, auch ggü. der Versammlung selbst wahrzunehmen. Dies schließt nicht aus, dass der Notar den Versammlungsleiter mit Ratschlägen unterstützt und dass er der Versammlung ggü. Rechtsauskünfte erteilt, soweit er hierzu durch den Vorsitzenden aufgefordert wird. Eine Hinweispflicht besteht z.B. bei der Prüfung der Einberufungsunterlagen, weil ein Verstoß gegen § 121 Abs. 2, 3 oder 4 AktG zur Nichtigkeit führt. Zu prüfen hat der Notar die Zugangskontrolle und die Präsenzerfassung im Hinblick auf das Teilnehmerverzeichnis sowie den Gang der Verhandlung in der Hauptversammlung selbst. Erfasst werden auch die Stimmabgabe, die Stimmauszählung und die Beachtung von Stimmverboten. Zu kontrollieren ist, ob die Aktionäre in dem von der Gesellschaft definierten Versammlungsraum (sog. "Präsenzbereich"), der sich möglicherweise über mehrere Räume im eigentlichen Sinn erstreckt, den Verlauf der Hauptversammlung zumindest akustisch verfolgen können. Bemerkt der Notar Mängel, hat er darauf hinzuwirken, dass sie abgestellt werden. Diese Hinweispflicht besteht nicht nur bei drohender Nichtigkeit eines angekündigten Beschlusses, sondern auch, wenn dessen Beständigkeit, also seine Anfechtungsfestigkeit durch Ereignisse in der Hauptversammlung infrage gestellt wird.
Rz. 1345
Bei bloßer Anfechtbarkeit von Beschlüssen besteht noch keine Berechtigung/Verpflichtung zur Verweigerung der Amtstätigkeit. Anders ist es, wenn der Notar die Nichtigkeit eindeutig erkennt. Hier wird man den Notar zumindest als berechtigt ansehen dürfen, seine Beurkundungstätigkeit zu verweigern. Nach a.A. besteht auch hier eine Beurkundungspflicht, da der Notar anderenfalls von vorneherein die Möglichkeit einer Heilung der nichtigen Beschlüsse nach §§ 242 Abs. 2 und Abs. 3, 256 Abs. 6 AktG verhindern würde. Im Zweifel ist von einer Beurkundungspflicht auszugehen, doch wird der Notar den Versammlungsleiter auf seine Bedenken hinweisen und diese im Protokoll vermerken. So vermeidet er den Anschein einer ordnungsgemäßen Besch...