Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 2347
Mit der Neufassung von Art. 10 GesRRL bestätigt die DRL II die seit 1968 bestehende Grundsatzentscheidung des Unionsgesetzgebers für das Prinzip der vorsorgenden Rechtspflege durch Gerichte, Behörden und Notare.
aa) Anerkennung von Unternehmensinformationen erfordert deren Verlässlichkeit
Rz. 2348
Die verlässliche Präventivkontrolle ist Grundvoraussetzung für das gegenseitige Vertrauen in die Richtigkeit der Registerdaten in allen Mitgliedstaaten, was wiederum Bedingung für die grenzüberschreitende Anerkennungspflicht für Registerdaten ist. Eine Verpflichtung zur grenzüberschreitenden Anerkennung von Registerdaten auf der Basis zu geringer Kontrollstandards brächte die Gefahr eines "entry control shopping" innerhalb der Europäischen Union mit sich. Gesellschaften könnten in den Mitgliedstaaten mit den geringsten Kontrollen gegründet werden und über die Gründung von Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen unkontrolliert in andere Mitgliedstaaten expandieren. Fehlerhafte Registerdaten aus unzuverlässigen Ausgangsregistern drohten zuverlässige Zielregister zu "infizieren".
Rz. 2349
Eine geringere Registerverlässlichkeit hätte erhebliche Konsequenzen für den europäischen Rechts- und Wirtschaftsstandort: Können sich die Bürger und Unternehmen nicht mehr auf Registereintragungen verlassen, müssen sie auf kostenintensive Rechtsgutachten (legal opinions) zurückgreifen. Die Beteiligten wären gezwungen, ihre Risiken auf die wirtschaftsrechtsberatende Praxis abzuwälzen. Dies würde letztlich zu höheren Transaktionskosten führen – ohne entsprechenden Gewinn an Rechtssicherheit. Denn private Aussteller von legal opinions sichern sich durch weitreichende Annahmen (assumptions), Vorbehalte (reservations) und Haftungsausschlüsse (disclaimer) ab.
bb) Bedeutung verlässlicher Register
Rz. 2350
Demgegenüber steht die Grundsatzentscheidung des Unionsgesetzgebers für die öffentliche Präventivkontrolle im Einklang mit den Traditionen des kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsraums, der für die Sicherheit und Schnelligkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs auf verlässliche und mit gutem Glauben ausgestattete Register setzt. Nur dann, wenn Handelsregister verlässliche Informationen zu den Rechtsverhältnissen von Gesellschaften enthalten, kann der Rechtsverkehr sicher und kostengünstig auf die dort enthaltenen Angaben zurückgreifen. Das gilt insbesondere, wenn ein Handelsregister so verlässlich ist, dass es mit öffentlichem Glauben ausgestattet ist. Unzutreffende Angaben muss die Gesellschaft gegen sich gelten lassen, was für einen Anreiz sorgt, das Register korrekt und aktuell zu halten. Ein verlässliches und daher mit öffentlichem Glauben ausgestattetes öffentliches Registerwesen reduziert Kosten, Zeit und Aufwand für Unternehmen, Verbraucher und andere Interessenträger (Anleger, Gläubiger, Arbeitnehmer) und beseitigt Informationsasymmetrien. Diese Vorteile dürften sich besonders bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zeigen.
cc) Verlässliche Register erfordern öffentliche Präventivkontrolle
Rz. 2351
Der Unionsgesetzgeber hat die öffentliche Präventivkontrolle im Gesetzgebungsverfahren daher trotz anderslautender Vorschläge, etwa im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, bestätigt. Dem ist zuzustimmen, denn die Registerführung ist ein wesentlicher Bestandteil der vorsorgenden Rechtspflege, indem sie ordnungsgemäße Rechtsanwendung und Rechtssicherheit gewährleisten soll, was nach dem EuGH zu den Aufgaben und Zuständigkeiten des Staates gehört. Aus öffentlicher Präventivkontrolle durch Gerichte, Verwaltungsbehörden und Notare folgt eine besondere Richtigkeits- und Wirksamkeitsgewähr für Registereintragungen. Denn anders als Private sind öffentliche Kontrollautoritäten nicht Partikularinteressen verpflichtet; vielmehr müssen sie ein besonderes Verfahrensrecht beachten, das die Objektivität ihres Handelns gewährleistet, und sie unterliegen zudem strenger staatlicher Aufsicht. Die Entscheidung des Unionsgesetzgebers für die öffentliche Präventivkontrolle ist aus einem weiteren Grund sachgerecht: Wäre in einigen Mitgliedstaaten eine private Präventivkontrolle zulässig, würde solchen Mitgliedstaaten, die sich für öffentliche Präventivkontrolle entschieden haben, ein Outsourcing wichtiger Staatsaufgaben mittelbar über die Anerkennungspflicht lediglich privat geprüfter Registerdaten aufgezwungen. Diesen Mitgliedstaaten dürfen nicht über den Umweg der gegenseitigen Anerkennungspflicht und unter Umgehung ihrer eigenen Registerkontrolle lediglich privat geprüfte Registerdaten aufgezwungen werden.