Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 1924
Seit der "Holzmüller"-Entscheidung des BGH ist anerkannt, dass außerhalb des § 119 Abs. 1 und Abs. 2 AktG bestimmte Maßnahmen der Geschäftsführung der gesonderten Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen, wenn diese mit einem wesentlichen Eingriff in die Mitgliedsrechte und in die Vermögensinteressen der Aktionäre verbunden sind (Mediatisierung).
Rz. 1925
Im Holzmüller-Fall ging es um die Ausgliederung von etwa 80 % des Gesellschaftsvermögens auf ein Tochterunternehmen. Die Lit. ging daraufhin von einem Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung aus, wenn die in Rede stehende Geschäftsmaßnahme mindestens 10 %–25 % des Aktivvermögens der Gesellschaft ausmacht. Teilweise wurde dabei aber auch als Bezugsgröße auf das Grundkapital bzw. auf den Umsatz der Gesellschaft abgestellt. Als weitere "Holzmüller-Fälle" in Betracht kommen das sog. "Delisting", also der ganz oder teilweise Rückzug einer AG von der Börse, bzw. sonstige Fälle einer "faktischen Satzungsänderung", in denen der Vorstand dauerhaft den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand über- oder unterschreitet. Auch wesentliche Strukturentscheidungen in einer Tochtergesellschaft können darunter fallen, insb. wenn sie Haftungsrisiken bei der Muttergesellschaft begründen (z.B. Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages zwischen der Tochter und einem Dritten bei einer durchgängigen Haftungskette nach § 302 AktG).
Rz. 1926
Zweifelhaft ist die Anwendung der Holzmüller-Doktrin dagegen, wenn es um den Erwerb von Vermögensgegenständen, insb. Unternehmensbeteiligungen geht, oder wenn bedeutende Geschäftsführungsmaßnahmen bei einer Tochtergesellschaft im Raum stehen, insb. ein bevorstehender Börsengang. Nach Ansicht des OLG Frankfurt stelle der bloße Beteiligungserwerb noch keinen "Holzmüller-Fall" dar. Jedenfalls dann, wenn eine Konzernöffnungsklausel besteht und die Satzung im Unternehmensgegenstand den Erwerb von Unternehmen nennt, sei der Beteiligungserwerb noch Teil der normalen vorstandsautonomen Geschäftsführungstätigkeit. Zwar drohe nach Auffassung des Gerichts auch beim Beteiligungserwerb ein Mediatisierungseffekt durch qualitative und quantitative Eingriffe in die Rechte der Aktionäre. Der Beteiligungserwerb unterscheide sich aber von dem klassischen Holzmüller-Fall. Dort sei es um eine Ausgliederung bereits vorhandener unternehmerischer Aktivitäten aus dem Einflussbereich der Hauptversammlung gegangen. Beim Beteiligungserwerb kämen dagegen solche unternehmerischen Aktivitäten hinzu. Im Ergebnis hat nach Auffassung des OLG Frankfurt am Main der bloße (auch fremdfinanzierte) Beteiligungserwerb schon nicht die Qualität eines Holzmüller-Falls, sodass es auf die Quantität des Eingriffs gar nicht mehr ankommt. Wollte man den Beteiligungserwerb als Holzmüller-Fall ansehen, seien nach Ansicht des OLG Frankfurt am Main die Größenverhältnisse des erworbenen Unternehmens zum hypothetischen Unternehmen nach Erwerb ins Verhältnis zu setzen, nicht aber die zu erwerbende Beteiligung mit dem Erwerber vor vollzogenem Erwerb (stand-alone-Basis).
Rz. 1927
Die Gegenansicht in der Lit. stellt darauf ab, dass dem Beteiligungserwerb unabhängig von einer Konzernöffnungsklausel stets ein Mediatisierungseffekt innewohne und aus Sicht der Aktionäre weiter die Gefahr einer Vermögensverschiebung drohe, sodass jedenfalls bei Erreichen bestimmter quantitativer Grenzen (ca. 75 %) eine Zustimmung der Hauptversammlung nach den Holzmüller-Grundsätzen erforderlich sei. Auch komme es darauf an, ob der Beteiligungserwerb zu einer Änderung der Struktur der Gesellschaft führe.
Rz. 1928
Die Veräußerung von Vermögensgegenständen und Beteiligungen ist kein Holzmüller-Fall. Mit einer Veräußerung kommt es zu keinem Mediatisierungseffekt. Die AG selbst kann über den Veräußerungserlös verfügen; der Veräußerungserlös unterliegt (wieder) der direkten Kontrolle der Aktionäre. Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 179a AktG besteht eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit in bloßen Veräußerungsfällen nicht. Ein Holzmüller-Fall liegt dagegen vor, wenn eine 100 %ige Tochtergesellschaft in eine andere Tochtergesellschaft eingegliedert wird. Hierdurch wird eine weitere hierarchische Ebene eingeführt, die den Einfluss der Aktionäre auf die nunmehr zur Enkelgesellschaft gewordene Tochtergesellschaft weiter schmälert.
Das BVerfG hat diese Holzmüller-Rspr. für den Fall der Veräußerung eines Unternehmensteils bestätigt.
Rz. 1929
Ein "Merger of Equals" begründet ebenso keine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Aktienerwerb aufgrund eines Übernahmeangebots nach dem WpÜG erfolgt, bei der es die Aktionäre in der Hand haben, ob sie das Angebot annehmen oder nicht.
Rz. 1930
Str. ist, ob im Fall der fakultativen Insolvenzantragstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) eine Zustimmung der Hauptversammlung erforderl...