Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 2354
Mit der Neufassung des Art. 10 GesRRL-E bestätigt der Unionsgesetzgeber ausdrücklich und im Einklang mit den nationalen Rechtssystemen und Rechtstraditionen (ErwG 9), dass die Mitgliedstaaten jede Kombination öffentlicher Kontrollautoritäten für die gesellschaftsrechtliche Präventivkontrolle vorsehen können.
aa) Zulässigkeit doppelstufiger Kontrollsysteme
Rz. 2355
Das gilt einerseits für solche Mitgliedstaaten, die sich für ein komplementäres Kontrollsystem nach dem Vier-Augen-Prinzip entschieden haben, bei dem sich die Kontrolle durch Notare und Registergerichte bzw. Registerbehörden ergänzt. Die ausdrückliche Erfassung solch komplementärer Kontrollsysteme dürfte ein Grund für die Änderung des Art. 10 GesRRL sein. Denn dessen aktuell geltende Fassung hätte ihrem Wortlaut nach (unzutreffend) dahin verstanden werden können, dass notarielle Präventivkontrolle nur dort zulässig wäre, wo es keine gerichtliche oder behördliche Kontrolle gibt. Das hätte entgegen ErwG 9 die Rechtstraditionen insbesondere derjenigen Mitgliedstaaten nicht respektiert, bei denen allein Notare die gesellschaftsrechtliche Prüfungskompetenz haben. Die ausdrückliche Anerkennung doppelstufiger Kontrollsysteme im Europäischen Gesellschaftsrecht ist zu begrüßen. Etwa in Deutschland bilden Notare zusammen mit den Registergerichten eine verlässliche Infrastruktur für den Rechts- und Wirtschaftsverkehr, die Rechtssicherheit schafft und Transaktionskosten senkt. Das erlaubt es, wichtige Geschäfte und Investitionen von Bürgern und Unternehmen sicher, zügig und kostengünstig abzuwickeln.
bb) Zulässigkeit einstufiger Kontrollsysteme
Rz. 2356
Umgekehrt ist mit der Neufassung des Art. 10 Abs. 1 GesRRL-E ebenfalls klar, dass die notarielle Rechtskontrolle nicht nur optional und komplementär zur gerichtlichen bzw. behördlichen Eingangskontrolle zulässig wäre. Der Unionsgesetzgeber wollte dies gegenüber dem insoweit missverständlichen Kommissionsentwurf klarstellen, der in ErwG 9 eine "vorbeugende Verwaltungs- oder gerichtliche Kontrolle unter Wahrung der Traditionen der Mitgliedstaaten, einschließlich der möglichen Beteiligung von Notaren" vorschlug. Zudem erwähnte der Kommissionsentwurf Notare in Art. 10 Abs. 1 GesRRL-E nicht ausdrücklich, wobei sie allerdings – je nach Notariatsverfassung in dem betreffenden Mitgliedstaat – unter verwaltungsbehördliche bzw. gerichtliche Kontrolle zu subsumieren sind. Durch die ausdrückliche Aufzählung von Notaren in Art. 10 Abs. 1 GesRRL-E ist hier jeder Zweifel beseitigt.
cc) Unzulässigkeit reiner Formalkontrolle
Rz. 2357
Die Neufassung des Art. 10 GesRRL-E räumt mit einem weiteren Missverständnis auf, das seit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs im Jahr 1973 zur damaligen Europäischen Gemeinschaft besteht. Dieses Missverständnis beruht auf einer falschen Auslegung der seit 1973 geltenden englischen Sprachfassung des Art. 10 GesRRL, wonach die Gründungsurkunde – mangels gerichtlicher oder behördlicher Eingangskontrolle – in ordnungsgemäßer Form abgefasst und beglaubigt sein muss ("drawn up and certified in due legal form"). Diese Formulierung lässt dem Wortsinn nach eine Auslegung zu, wonach jede im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehene Formalität zulässig ist und dass die Einhaltung dieser Formerfordernisse eine Befreiung von jeder vorherigen behördlichen oder gerichtlichen Kontrolle rechtfertigen kann. Diese Auslegung war schon auf der Grundlage des geltenden Art. 10 GesRRL eindeutig abzulehnen, erlaubte es aber seither dem Vereinigten Königreich bis zu seinem EU-Austritt und weiteren Mitgliedstaaten, eher unscheinbare präventive Kontrollsysteme im Gesellschaftsrecht vorzusehen. Die DRL II ist eine ausdrückliche Zurückweisung dieser Auslegung, da die umfangreichen Mindestprüfungen nach Art. 10 Abs. 2 GesRRL-E durch Gerichte, Behörden oder Notare durchzuführen sind.
dd) Unzulässigkeit rein automatisierter Kontrolle
Rz. 2358
Mit der Entscheidung für die öffentliche Präventivkontrolle durch Gerichte, Behörden und Notare hat sich der Unionsgesetzgeber gleichzeitig gegen rein automatisierte Kontrollverfahren ohne menschliche Beteiligung entschieden. Dafür spricht nicht nur die Komplexität vielgestaltiger und indivi...