Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 1987
Bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ist der Vorstand verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber nach 3 Wochen Insolvenzantrag zu stellen (§§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Insolvenzantragspflicht korrespondiert mit einer Selbstprüfungspflicht nach § 91 Abs. 2 AktG. Danach hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu ergreifen, insb. ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen frühzeitig erkannt werden. Diese Pflicht ist dann erfüllt, wenn das Management die drohende Insolvenz frühzeitig erkennt, diese abwendet oder ein sanierungsunfähiges Unternehmen rechtzeitig liquidiert. Ggf. ist hierzu externer Sachverstand einzuholen. Verletzt er diese Pflichten, droht eine Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG für den vollen Schaden.
Rz. 1988
Im Fall bloß drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) besteht eine Insolvenzantragspflicht nicht. Will der Vorstand gleichwohl Insolvenzantrag stellen, insb. um die Gesellschaft im Rahmen eines sog. Schutzschirmverfahrens zu sanieren (§ 270b InsO), ist ein einstimmiger Antrag oder eine Antragstellung in vertretungsberechtigter Zahl erforderlich (§ 18 Abs. 3 InsO). Str. ist weiter, ob der Vorstand nach der Holzmüller-Rspr. verpflichtet ist, vorab die Hauptversammlung einzuberufen (s.o. Rdn 1926). Das OLG München hat dies bei einer GmbH & Co. KG bejaht. Folgt man dem, muss die Hauptversammlung dem Insolvenzantrag mit qualifizierter Kapitalmehrheit zustimmen. Nach a.A. sei in diesem Fall eine Zustimmung des Aufsichtsrates erforderlich, aber auch genügend.
Rz. 1989
Im Fall der Führungslosigkeit (§ 78 Abs. 1 Satz 2 AktG) trifft die Insolvenzantragspflicht jedes Aufsichtsratsmitglied, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis (§ 15a Abs. 3 InsO). Unabhängig von einer solchen Kenntnis ist im Fall der Führungslosigkeit jeder Aktionär, aber auch jedes Aufsichtsratsmitglied berechtigt, den Insolvenzantrag zu stellen (§ 15 Abs. 1 Satz 3 InsO). Auch wenn keine Führungslosigkeit vorliegt, muss sich der Aufsichtsrat stets ein Bild von der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft machen und im Fall der Insolvenzreife auf einen Insolvenzantrag hinwirken. Auch hier droht anderenfalls eine Haftung auf Schadensersatz nach §§ 116, 93 Abs. 2 AktG.
Rz. 1990
Nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung darf der Vorstand nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG keine Zahlungen mehr leisten, soweit dies nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind (Massesicherungspflicht).
Hier besteht für den Vorstand ggf. die Gefahr einer Pflichtenkollision. Führt er bspw. Arbeitnehmerbeiträge bzw. Lohnsteuer ab, droht ihm wegen Verletzung seiner Massesicherungspflicht eine Haftung aus §§ 92 Abs. 2 Satz 2, 93 Abs. 2 AktG. Unterlässt er dies, droht ihm eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB bzw. aus §§ 34, 69 AO. In der Rspr. hat sich hierzu folgende Leitlinie herausgebildet: Für eine Schonfrist von max. 3 Wochen, während der Vorstand das Vorliegen einer Insolvenz prüfen darf, besteht ein Vorrang für die Massesicherungspflicht. Arbeitnehmerbeiträge etc. sind daher nicht abzuführen, wenn auch sonst keine Gesellschaftsschulden getilgt werden. Wird diese 3-Wochenfrist überschritten und gleichwohl trotz fortbestehender Insolvenzreife kein Insolvenzantrag gestellt, droht keine Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG, wenn der Vorstand zur Vermeidung strafrechtlicher Folgen fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung etc. oder fällige Steuern bezahlt (z.B. Lohnsteuer).
Rz. 1991
Umgekehrt gehen aber sowohl der BFH als auch der BGH davon aus, dass eine Haftung wegen Nichtabführung der fälligen Steuern dann nicht ausgeschlossen ist, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die 3-wöchige Schonfrist fällt, die dem Vorstand zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gem. § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist, er in diesem Zeitraum aber sonst Schulden der Gesellschaft tilgt. Zahlt der Vorstand z.B. in diesem Zeitraum Löhne aus, muss er davon so viel einbehalten, dass die auf diese Beträge entfallende Steuer bereit liegt, wenn die Lohnsteuer fällig wird.
Dieses Zahlungsverbot wird durch § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG erweitert. Danach sind auch solche Zahlungen verboten, die zwar das zur Erhaltung des Grundkapitals erforderliche Vermögen nicht antasten (vgl. § 57 Abs. 1 AktG), die aber die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen müssen und auch tatsächlich herbeiführen (adäquate Kausalität), es sei denn, dies war auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar.
Rz. 1992
Nach § 92 Abs. 1 AktG muss unverzüglich eine Hauptversammlung einberufen werden, wenn sich bei Aufstellung einer Bilanz ergibt oder bei pflichtgemäßem Ermessen anzunehmen ist, dass ein Verlust i.H.d. halben Grundkapitals besteht....