Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 339
Der objektive Tatbestand der Existenzvernichtungshaftung setzt einen gezielten, kompensationslosen Eingriff in das Gesellschaftsvermögen voraus. Der Eingriff muß zur Insolvenz der Gesellschaft führen oder eine bestehende Insolvenz vertiefen; insoweit muss Kausalität bestehen.
Irrelevant ist, ob sich die Vermögenslage der Gesellschaft durch den Abzug von Aktiva oder die Erhöhung der Passiva verschlechtert. Dies kann auch dadurch erfolgen, dass durch Verschmelzung eines insolvenzreifen übertragenden Rechtsträgers die Insolvenz des übernehmenden Rechtsträgers herbeigeführt oder vertieft wird. Entscheidend ist, dass durch den Vermögensentzug die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre Verbindlichkeit zu erfüllen, erheblich beeinträchtigt wird.
Die Fälle der materiellen Unterkapitalisierung sowie die sog. "Aschenputtel-Konstellationen" stellen keinen existenzvernichtenden Eingriff dar. In diesen Fällen wird die GmbH von vornherein mit einem zu geringen Kapital ausgestattet. Dies stellt jedoch keinen Eingriff in das Gesellschaftsvermögen dar, sondern der GmbH wird lediglich notwendiges Vermögen vorenthalten. Ein Unterlassen hinreichender Kapitalausstattung steht einem Eingriff in das Gesellschaftsvermögen jedoch nicht gleich. Die Existenzvernichtungshaftung soll nach der Vorstellung des BGH vielmehr die insolvenzverursachende oder -vertiefende Selbstbedienung des Gesellschafters vor den Gläubigern der Gesellschaft ausgleichen. Eine Erweiterung der Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung um eine Haftung für unterlassene Finanzausstattung bzw. Unterkapitalisierung lehnt der BGH zu Recht als systemwidrig ab.
Rz. 340
Subjektives Tatbestandsmerkmal der Existenzvernichtungshaftung ist Eventualvorsatz, bezogen auf die Herbeiführung der Existenzvernichtung. Der Gesellschafter muss also billigend die objektiv vorhersehbare Herbeiführung oder Vertiefung einer Insolvenz der Gesellschaft als Folge der von ihm veranlassten Maßnahmen in Kauf nehmen. In der Lit. wird angenommen, dass damit eine Existenzvernichtungshaftung bei Cash-Pool- bzw. LBO-basierten Vermögenstransfers jedenfalls i.d.R. am Vorsatzerfordernis scheitert.
Ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit selbst ist nicht erforderlich; es genügt, wenn dem handelnden Gesellschafter die Tatsachen bekannt sind, die den Eingriff sittenwidrig machen. Sittenwidrigkeit erkennt der BGH in der die Insolvenz verursachenden oder -vertiefenden Selbstbedienung des Gesellschafters vor den Gläubigern der Gesellschaft.
Die Darlegungs- und Beweislast für alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts trägt grds. die Gläubigerin, d.h. die Gesellschaft.
Schuldner des Anspruchs wegen existenzvernichtenden Eingriffs ist jeder (auch nur mittelbare) Gesellschafter, der tatsächlich einen beherrschenden Einfluss auf die GmbH ausüben kann. Nach dem BGH kommt sogar ein nur mittelbarer ("faktischer") Gesellschafter als Schuldner der Existenzvernichtungshaftung in Betracht, der lediglich aufgrund von bspw. der Bestellung zum Geschäftsführer, einer Generalvollmacht und der Befreiung von § 181 BGB faktisch Einfluss ausüben kann. Insoweit weist der BGH darauf hin, dass i.R.d. neuen Haftungskonzepts letztlich eine Beteiligung i.S.d. § 830 BGB ausreichen würde.