Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
aa) Entwicklung der Rechtsprechung des BGH
Rz. 336
Hinsichtlich der Missbrauchshaftung war das Konzernhaftungsrecht über Jahre hinaus ein Brennpunkt der Rechtsentwicklung des GmbH-Rechts. Sinn und Zweck der Missbrauchshaftung ist es, den Gläubigern der Gesellschaft einen Zugriff auf den Gesellschafter zu ermöglichen, der die Gesellschaft wirtschaftlich für eigene Belange ausnutzt und damit den Gesellschaftsgläubigern die Haftungsmasse entzieht.
Der BGH hatte ursprünglich in seinem "Autokran"-Urteil und später in dem "Video"-Urteil das konzernrechtliche Haftungssystem der §§ 300 ff. AktG für analog anwendbar erklärt. Im "Bremer Vulkan"-Urteil vollzog der BGH eine Kehrtwende und stellte in einem obiter dictum ausdrücklich klar, dass "der Schutz einer abhängigen GmbH gegen Eingriffe ihres Alleingesellschafters nicht dem Haftungssystem des Konzernrechts des Aktienrechts (§§ 291 ff., 311 ff. AktG)" folgt. Die eigenständige Haftungsordnung und Rechtsfigur des "qualifiziert faktischen Konzerns" ist damit aufgegeben worden.
Rz. 337
Der Schutz einer GmbH beschränkt sich nun auf die Kapitalerhaltungsregeln der §§ 30, 31 GmbHG sowie der Gewährleistung eines Bestandsschutzes in dem Sinne, dass Gesellschafter einer GmbH bei Eingriffen in deren Vermögen und Geschäftschancen angemessene Rücksicht auf die – ihrer Disposition entzogenen – eigenen Belange der GmbH zu nehmen haben. Die Rücksichtnahme auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger während der Lebenszeit der GmbH ist unabdingbare Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Haftungsprivilegs des § 13 Abs. 2 GmbHG.
An einer solchen angemessenen Rücksichtnahme auf die Eigenbelange der GmbH fehlt es, wenn diese infolge der Eingriffe ihres Alleingesellschafters oder der zusammenwirkenden Gesellschafter ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann. Der BGH sieht damit nur einen "bestandsvernichtenden Eingriff" als Auslöser einer Haftung an; eine bloße konkrete Bestandsgefährdung reicht nicht aus.
Als weitere Voraussetzung für eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs darf der der GmbH durch die Entnahmen insgesamt zugefügte Nachteil nicht bereits nach den §§ 30, 31 GmbHG ausgleichbar sein. Unklar ist, wie die vom BGH verwendeten Formulierungen "(...) wenn nicht (...)" bzw. "(...) soweit nicht (...)" (der Nachteil durch Rückzahlung gem. § 31 GmbHG ausgeglichen werden kann) im Hinblick auf das Verhältnis der Haftungstatbestände zueinander zu verstehen sind. Die Lit. fasst dies als Subsidiarität auf, tritt aber ihrerseits für Anspruchskonkurrenz ein, um den Gläubigern die gerade eingeräumte Haftung nicht wieder zu versagen. Dabei soll das gem. § 31 GmbHG an die Gesellschaft Gezahlte i.R.d. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs angerechnet werden.
Rz. 338
In der Folgezeit versuchte der BGH diese weitreichenden Folgen einer solchen verschuldensunabhängigen und in der Höhe unbeschränkten Haftung wieder einzugrenzen. Durch Urt. v. 13.12.2004 wurde den Gesellschaftern eine Begrenzung der Haftung ermöglicht, und zwar wenn sie nachwiesen, dass den Gläubigern im Vergleich zu der Vermögenslage bei redlichem Verhalten nur ein begrenzter und dann auch nur in diesem Umfang zu ersetzender Schaden entstanden sei. Die Ersatzpflicht beschränkte sich dann auf diesen begrenzten Schaden.
Der Gesetzgeber hat die Existenzvernichtungshaftung der weiteren Rechtsfortbildung durch die Rspr. überlassen und regelt in § 15b Abs. 4 und 5 InsO lediglich die Haftung der Geschäftsführer; eine Haftung der Gesellschafter für existenzvernichtende Eingriffe ist nicht gesetzlich geregelt.
In seiner "Trihotel"-Entscheidung hat der BGH das Erfordernis einer Existenzvernichtungshaftung zur Vermeidung einer durch das Haftungssystem der §§ 30, 31 GmbHG offengelassenen Schutzlücke für missbräuchliche, zur Insolvenz der Gesellschaft führende oder diese vertiefende Eingriffe in deren Gesellschaftsvermögen bestätigt. Im Rahmen dieser Entscheidung stellten die Richter fest, dass ein missbräuchlicher Eingriff in das Gesellschaftsvermögen schon begrifflich, aber auch funktionell kein Missbrauch der Rechtsform der GmbH sei. Ein Missbrauch der Rechtsform sei nämlich nur bei der Schaffung der Gesellschaft oder beim Gebrauchmachen von ihr (durch den Abschluss von Verträgen, etc.) denkbar. Vielmehr stelle ein existenzvernichtender Eingriff einen Verstoß gegen die Pflicht zur Respektierung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger während der Lebensdauer der GmbH dar. Entscheidendes Kriterium zur Bejahung der Existenzvernichtungshaftung ist demnach nicht mehr der Missbrauch der Rechtsform, sondern die missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse gebundenen Gesellschaftsvermögens. Die Existenzvernichtungshaftung stellt danach keine eigenständige Haftungsfigur mehr dar, sondern eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung i...