Rz. 1367

Eine besondere Hauptversammlungszuständigkeit besteht nach §§ 327a ff. AktG, wenn Minderheitsaktionäre gegen Barabfindung aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollen und wenn dem Hauptaktionär mehr als 95 % der Aktien[3857] gehören, sog. "Squeeze-Out" (s. zu weiteren Einzelheiten u. Rdn 1945 ff.). Das AktG lässt offen, mit welcher Mehrheit dieser Beschluss der Hauptversammlung zu fassen ist. Nach einer Ansicht in der Lit. genüge analog zu § 319 Abs. 1 Satz 2 AktG eine einfache Stimmenmehrheit; die Kapitalmehrheit von 95 % beziehe sich demgegenüber nur auf die Antragsberechtigung des Hauptaktionärs.[3858] Diese Auffassung ist abzulehnen.[3859] Ist materielle Beschlussvoraussetzung, dass ein Aktionär Eigentümer einer qualifizierten Anzahl von Aktien ist, ist eine Festlegung korrespondierender formeller Beschlussmehrheiten entbehrlich, weil dem Erfordernis nach einer qualifizierten Mehrheit bereits auf materieller Ebene genüge getan ist. Ein Beschluss, der materiell an die Inhaberschaft von 95 % der Aktien anknüpft, ist von seinen Voraussetzungen und seiner Bedeutung einem Beschluss vergleichbar, der an eine Kapitalmehrheit von 95 % anknüpft. Solche Beschlüsse sind von dem Erfordernis notarieller Beurkundung nicht auszunehmen. Auch sie knüpfen an eine qualifizierte Mehrheit an und sind Grundlagenbeschlüsse i.S.v. § 130 Abs. 1 Satz 2 AktG. Hinzukommt, dass es sich bei diesem Beschluss um einen grundlegenden Eingriff in die Rechte des Aktionärs handelt. Weiter zeigt § 327d Satz 2 AktG, dass die Hauptversammlung über den "Squeeze-Out"-Beschluss wesentlich vom Hauptaktionär bestimmt werden kann. Auch von daher gebietet der Schutz der Minderheitsaktionäre die notarielle Beurkundung.[3860]

[3857] Zur Berechnung der 95 %-Mehrheit: Fleischer, ZGR 2002, 757, 774 ff.
[3858] Koch, AktG, § 327a Rn 11; AnwK-AktienR/Heidel/Lochner, Kap. 1 § 327a AktG Rn 18; Furhmann/Simon, WM 2002, 1211; Sieger/Hasselbach, ZGR 2002, 120, 142.
[3859] In diesem Sinne wohl Grunewald, ZIP 2002, 18, 19; Vetter, AG 2002, 176, 186.
[3860] Vgl. zu den beim "Squeeze Out" auszulegenden Unterlagen LG Hamburg, AG 2003, 109; Arnold, AG Report 2003, R 84.

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