Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 161
Darüber hinaus enthält das DiREG Regelungen zu einem vom DiRUG unabhängigen Themenkomplex, der virtuellen Gesellschafterversammlung bei der GmbH. Im GmbH-Recht gilt das Leitbild einer Präsenzversammlung. § 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG regelt, dass Beschlüsse der Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung als einer grds. präsenten Zusammenkunft gefasst werden. Mit Wirkung zum 1.8.2022 hat die Regelung des § 48 Abs. 1 GmbHG einen zweiten Satz erhalten. Dieser lautet: "Versammlungen können auch fernmündlich oder mittels Videokommunikation abgehalten werden, wenn sämtliche Gesellschafter sich damit in Textform einverstanden erklären." Die Neuregelung erlaubt nun die Zusammenkunft in virtuellen Versammlungen auch dann, wenn die Satzung hierzu keinerlei Regelungen enthält. Dies war nach h.M. bis zum 1.8.2022 nicht möglich. Mit der Neuregelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG reagiert der Gesetzgeber auf eine Entwicklung, die sich spätestens seit den Kontaktbeschränkungen während der COVID-19-Pandemie, während der Geltung der Übergangs-Regelungen des COVMG und dem Umgang der Praxis sowohl mit der (teilweise unbefriedigenden) Rechtslage als auch mit den tatsächlichen Gegebenheiten abgezeichnet hatte.
Rz. 162
Angesichts der mit den geltenden Kontaktbeschränkungen verbundenen Schwierigkeiten bei der Abhaltung von Präsenzversammlungen hatte der Gesetzgeber im COVMG Erleichterungen für die AG (§ 1 COVMG), die Genossenschaft (§ 3 COVMG) und den Verein (§ 5 COVMG) geschaffen, um für diese Rechtsformen audiovisuelle Versammlungen auch dann zu ermöglichen, wenn die Satzungen der betreffenden Gesellschaften keinerlei Regelungen zu virtuellen Versammlungen enthielten (was regelmäßig der Fall war). Die auf der Grundlage der Regelungen in §§ 1, 3 und 5 COVMG abgehaltenen (teil-)virtuellen Versammlungen haben eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen produziert, die anschaulich illustrieren, mit welchen Problemen nichtpräsente Zusammenkünfte verbunden sein können.
Rz. 163
Die Neuregelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ändert nichts daran, dass es in gesetzestechnischer Hinsicht beim Grundsatz des § 48 Abs. 1 Satz 1 GmbHG bleiben wird: Gesellschafterbeschlüsse werden grds. in Versammlungen der Gesellschafter im Sinne physischer Zusammenkünfte gefasst. Nur ausnahmsweise kann hiervon in zweierlei Hinsicht abgewichen werden. Entweder es bleibt beim Erfordernis der Zusammenkunft, diese wird jedoch gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 GmbHG in den virtuellen Raum verlagert. Oder aber ein Gesellschafterbeschluss kommt (ohne Versammlung) im Umlaufverfahren gem. § 48 Abs. 2 GmbHG zustande.
Rz. 164
In jedem Fall bedarf es aber aufgrund expliziter gesetzlicher Anordnung der Zustimmung aller Gesellschafter (in Textform). Aus der Perspektive derjenigen, die schon vor Inkrafttreten des DiREG davon ausgingen, dass virtuelle Versammlungen bereits nach allgemeinen Grundsätzen und ohne explizite gesellschaftsvertragliche Regelung physischen Präsenzversammlungen gleichstehen können, handelt es sich bei der gesetzgeberischen Entscheidung für das Konsensprinzip um eine Verschärfung der Rechtslage, was ihr einige Kritik eintrug.