Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 2384
Die DRL II führt neben dem EUCC ein weiteres "Werkzeug" ein, mit dem grenzüberschreitende Transaktionen und Verfahren erleichtert und beschleunigt werden sollen: die digitale EU-Vollmacht (Art. 16c GesRRL-E). Die digitale EU-Vollmacht ist eine rechtsgeschäftliche und mehrsprachige Vollmacht, die die organschaftlichen Vertreter einer Gesellschaft erteilen können, damit der Vollmachtnehmer im Namen der Gesellschaft grenzüberschreitende Verfahren im Anwendungsbereich der Richtlinie in einem anderen Mitgliedstaat ohne das Erfordernis der Apostille durchführen kann. Unter der Voraussetzung eines für die Praxis nützlichen Musters (Art. 16c Abs. 5 GesRRL-E) und einer Umsetzung durch die Mitgliedstaaten, die eine verlässliche Überprüfung der digitalen EU-Vollmacht im Verwendungsmitgliedstaat erlaubt, kann die digitale EU-Vollmacht eine erhebliche Erleichterung für den grenzüberschreitenden Gesellschaftsrechtsverkehr werden. So wurde bereits im Zusammenhang mit der ersten Digitalisierungsrichtlinie auf die praktischen Probleme bei der Onlinegründung mittels Vollmacht hingewiesen und die Einführung eines Vollmachtsregisters vorgeschlagen. Mit der digitalen EU-Vollmacht hat der Unionsgesetzgeber diesen Vorschlag aufgegriffen. Bislang für die Praxis aufwendige Anforderungen der Übersetzung, Apostillierung und ggf. der Vorlage von Ausfertigungen zum Gültigkeitsnachweis stellen sich dann nicht mehr.
aa) Anwendungsbereich der digitalen EU-Vollmacht
Rz. 2385
Die digitale EU-Vollmacht kann insbesondere für die Gründung einer Tochtergesellschaft, der Änderung ihres Errichtungsakts, die Eintragung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat genutzt werden sowie für grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahmen (Art. 16c Abs. 1 UAbs. 1 GesRRL-E). Der begrenzte Anwendungsbereich der digitalen EU-Vollmacht bedeutet, dass sie gerade keine umfassende Bevollmächtigung ist, mit der der Vollmachtnehmer ähnlich einem Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten die Gesellschaft bei jeder Art von Geschäften vertreten kann. Das ist mit der digitalen EU-Vollmacht gerade nicht bezweckt und für die Zwecke der GesRRL auch nicht erforderlich. Die Kommission wird nach Art. 16c Abs. 5 GesRRL-E in einem Durchführungsrechtsakt ein Muster für die digitale EU-Vollmacht erstellen, das in allen Sprachen der Europäischen Union auf dem Europäischen Justizportal veröffentlicht werden wird. Dieses soll zumindest Angaben zum Bevollmächtigten und zu seinen Vertretungsbefugnissen enthalten, damit es für die Praxis auch nutzbar wird, die erfahrungsgemäß eine Vielzahl an Beschränkungen der Vertretungsmacht wünscht.
bb) Die digitale EU-Vollmacht als Nachweis der Vertretungsmacht
Rz. 2386
Die digitale EU-Vollmacht ist nach Art. 16c Abs. 2 GesRRL-E als Nachweis der Vertretungsmacht des Bevollmächtigten anzuerkennen. ErwG 25 und 25a stellen allerdings klar, dass die digitale EU-Vollmacht nationale Einschränkungen für die Nutzung von Vollmachten im Verwendungsstaat zu beachten hat, was ausdrücklich auch für die Verwendung von Vollmachten zur Gründung von Gesellschaften gilt. Danach bleibt etwa § 2 Abs. 2 GmbHG unberührt, wonach eine Vollmacht zur Gründung einer GmbH notariell errichtet oder beglaubigt sein muss.
cc) Erteilung nach nationalem Recht, aber Umsetzung im Übrigen im Ermessen der Mitgliedstaaten
Rz. 2387
Die digitale EU-Vollmacht ist im Einklang mit den jeweiligen nationalen rechtlichen und förmlichen Voraussetzungen zu erteilen, abzuändern und zu widerrufen (Art. 16c Abs. 1 UAbs. 3 GesRRL-E). Allerdings müssen zumindest die Identität, Geschäftsfähigkeit und Vertretungsbefugnis des erteilenden organschaftlichen Vertreters durch Gerichte, Notare oder andere zuständige Behörden geprüft werden. Um eine Umgehung der öffentlichen Präventivkontrolle durch die digitale EU-Vollmacht zu verhindern, hat der Unionsgesetzgeber entgegen dem Kommissionsvorschlag auch hinsichtlich der Erteilungsvoraussetzungen der digitalen EU-Vollmacht die verpflichtende öffentliche Präventivkontrolle vorgeschrieben.
Rz. 2388
Darüber hinaus regelt die DRL in Art. 16c GesRRL-E nicht abschließend, wie die Mitgliedstaaten die Richtlinienbestimmungen zur digitalen EU-Vollmacht umzusetzen haben. Insoweit besteht erheblicher Umsetzungsspielraum. Aus diesem Grund wird es keine unionsweit einheitliche, sondern 27 unterschiedliche digitale EU-Vollmachten geben. Klar ist jedoch, dass die zuständigen Stellen im Verwendungsstaat die Echtheit und Authentizität und fortdauernde Gültigkeit der digitalen EU-Vollmacht sowie die Einhaltung der Erteilungsvoraussetzungen und etwaiger Formerfordernisse prüfen können müssen. Wie die Mitgliedstaaten dies gewährleisten, ist ihnen überlassen. Sie können sich hierzu des rechtlichen und technischen Rahmens der revidierten eIDAS-Verordnung bedienen und qualifizierte elektronische Signaturen und Attributsbescheinigung sowie Vertrauensdienste einsetzen. Der Kommissionsentwurf hatte insoweit in Art. 16c Abs. 3 GesRRL-E die zwingende Offenlegung der digitalen EU-Vollmacht im Register der Gesellschaft verlangt. Aus dieser Pflicht wurde ...